Inklusions-Pegel August 2022
Neues zum Thema Inklusive Bildung, liebe Leute!
Heute erhalten Sie eine neue Ausgabe unseres Newsletters INKLUSIONS-PEGEL, dem Folgeprojekt unserer Kampagne zum Film DIE KINDER DER UTOPIE. Hier berichten wir jeden Monat, was in Deutschland rund um die Umsetzung von Artikel 24 — inklusive Bildung — der UN-Behindertenrechtskonvention passiert. Dabei versuchen wir einerseits, die Bundesländer und Kommunen als Akteure der Schulpolitik im Blick zu behalten, und andererseits, die Nachrichten nach bundesweiter Relevanz zu filtern.
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Ihr mittendrin e.V.
Irgendwann in den Nuller Jahren haben wir uns Gedanken gemacht, welche gesellschaftlichen Kräfte uns in unserem Kampf für das Recht unserer Kinder auf inklusive Bildung unterstützen könnten. Und dachten dabei auch an die beiden großen christlichen Kirchen. Zugegeben, das war wirklich naiv. Nur weil Jesus zu Menschen mit Behinderung einen Kontakt auf Augenhöhe pflegte, kann man das nicht vom heutigen Personal seiner Kirche verlangen.
Inzwischen sehen wir klarer. Die beiden großen christlichen Kirchen sind diejenigen, die zwar täglich predigen, dass alle Menschen vor Gott gleich sind. Es sind aber auch diejenigen, die in ihren eigenen Einrichtungen jegliche ernstgemeinten inklusiven Bestrebungen blockieren. Die Kindern und Jugendlichen mit Behinderung die Türen ihrer kirchlichen allgemeinen Schulen weitestgehend verschließen. Die jegliche Diskussion um die Rolle ihrer kirchlichen Förderschulen beim Aufbau inklusiver Bildung abperlen lassen. Die ohne jedes Störgefühl um Spenden für ihre Behinderteneinrichtungen werben, die nicht selten wie etwa in Bethel (evangelisch) und in Nordkirchen (katholisch) die Infrastruktur bieten, um Menschen mit Behinderung von der Kita über die Förderschule, die Werkstatt und das Wohnheim und zum Teil bis zum einrichtungseigenen Friedhof - also buchstäblich von der Wiege bis zur Bahre – von der Gesellschaft fernzuhalten.
Und es sind diejenigen, die heute mit am Schamlosesten den Begriff der Inklusion missbrauchen. Die kirchliche Förderschule, die sich mit dem Gymnasium den Sportplatz teilt. Der heilpädagogische Kindergarten, der Räume in der nächsten Kleinstadt gemietet hat. Das Behindertenwohnheim, dessen Bewohner zum Teil beim örtlichen Bäcker einkaufen und zum Kirchenfest eine kleine Darbietung beisteuern. Alles Anlässe, um großmäulig von „gelebter Inklusion“ zu schwätzen. So errichten sie eine Sprachkulisse, die jedes wirkliche Entwicklungsbemühen um Inklusion im eigenen Haus für obsolet erklärt.
Jetzt fragt sich die Eule: Wie kann ein wahrer Christenmensch sich und andere so belügen? Es ist vermutlich ganz einfach. Der Geist wäre ja willig, aber das Fleisch ist so schwach! Lassen sich die behinderten Menschen, augenfällig an einem Ort versammelt, doch so schön für die Selbstinszenierung und -bestätigung des barmherzigen Samariters nutzen, tausendfach. Und für den Erhalt all der sichtbar gottgefälligen Jobs und Einrichtungen der krisensicheren kirchlichen Behindertenhilfe-Industrie.
Dabei ist zumindest dem katholischen Teil der Vorwurf zu machen, dass er nicht nur die Lehren Christi verdreht, sondern auch den eigenen Pontifex ignoriert. Sagte doch Papst Franziskus schon im Juni 2016 sehr deutlich, was er von der kirchlichen Behindertenhilfe und ihrer Resistenz gegen das Menschenrecht auf Inklusion hält: Oft herrsche die Einstellung, die Betroffenen seien im "vergoldeten Gehege" oder in "Reservaten der frömmelnden Fürsorge und des Wohlfahrtsstaates" besser aufgehoben, weil sie dort den "Rhythmus des künstlichen Wohlbefindens" nicht störten, so Franziskus bei der Messe auf dem Petersplatz. Dies sei jedoch eine "Selbsttäuschung", die den wahren Sinn des Lebens verkenne.
Ja, die Eule ist katholisch. Und sie beruhigt sich gleich wieder… versprochen!
Die Themen im August
Berlin 1
Zu Beginn des Schuljahres protestiert die Bildungsgewerkschaft GEW gemeinsam mit dem Landesbehindertenbeirat und der Zivilgesellschaft gegen die Pläne der Senatsverwaltung, an Förderstunden für Schülerinnen* mit Behinderung zu sparen.
Qualitativ hochwertige Inklusive Bildung ist keine Kür sondern Pflicht!
Berliner Bündnis für schulische inklusion
Berlin 2
Das Bündnis „Schule muss anders“ lädt am 9. und 10. September zum Bildungsfestival ein:
Bildungsfestival 9.+10.9.22
Schule muss anders
Berlin 3
Im Frühjahr sorgte die Berliner Senatsverwaltung bei Elternverbänden für Empörung, als sie behauptete, an den Berliner Grundschulen sei die Inklusion bereits umgesetzt. Die Eltern berichten immer wieder von großen Problemen, für Kinder mit deutlicherer Behinderung einen Schulplatz zu bekommen, weil die einzelnen Schulen die Aufnahme ablehnen dürfen. Ganz eng wird es offenbar für Kinder mit Mehrfachbehinderung:
Ein Recht, das kein Recht ist – Gegen den Willen auf die Förderschule
Inklusionsfakten
Niedersachsen 1
In Niedersachsen ist Wahlkampf und die FDP entdeckt ihr Interesse für Schülerinnen* mit Behinderung. Sie stellt das 2013 beschlossene Auslaufen der Förderschule Lernen in Frage und hat dagegen jetzt sogar ein Volksbegehren gestartet. Der Verein Mittendrin Hannover e.V. weist darauf hin, wie gestrig diese Forderung der selbsternannten Zukunftspartei ist.
„Förderschule Lernen ist bereits ausgelaufen – und das ist gut so!“
kobinet Nachrichten
Niedersachsen 2
Der Deutschlandfunk Kultur macht das Wahlkampfthema der niedersächsischen FDP bundesweit zum Thema und stellt eine Streitrunde zusammen:
Ohne Förderschulen geht es nicht?
Deutschlandfunk Kultur
Bayern
Das Bundesland Bayern kommt bei der inklusiven Bildung nicht voran. Anstatt weniger lernen heute sogar prozentual mehr Schülerinnen* an Förderschulen als im Jahre 2009. Ein Bündnis aus Inklusionsverbänden sieht den Grund dafür auch im starren bayerischen Schulsystem und fordert die Einführung der Gemeinschaftsschule.
DAS MANIFEST – Manifest Bündnis Gemeinschaftsschule
Bündnis Gemeinschaftsschule in Bayern
Nordrhein-Westfalen 1
Nach mehr als 40 Jahren hat das Land NRW neue Richtlinien für den Unterricht im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung vorgelegt. Die Vorgaben sollen den Bildungsanspruch der Schülerinnen* stärken und auf jedem Lernniveau an die Bildungspläne von Grund- und Hauptschule anschlussfähig sein. Das ist löblich und war lange überfällig. Nur fehlen die Instrumente, die für eine verbindliche Anwendung der neuen Regeln in den Schulen sorgen.
Vorgaben zieldifferente Bildungsgänge
Schulentwicklung NRW
Nordrhein-Westfalen 2
Die neue NRW-Schulministerin hat gleich zu Beginn des Schuljahres im Kreis Paderborn eine Schule des Gemeinsamen Lernens besucht. Darüber, wie sie insgesamt den Ausbau der inklusiven Bildung voranbringen will, ist noch nichts bekannt.
Ministerin Feller besucht die Hövelhofer Krollbachschule
Westfalen-Blatt
Nordrhein-Westfalen 3
Wie es über die Krollbachschule hinaus mit der Inklusion im Kreis Paderborn aussieht, beschreibt eine im Jahr 2019 erschienene Studie:
Zweiter Inklusionsbericht der Bildungs- und Integrationsregion des Kreises Paderborn
Bildungsregion Paderborn
Nordrhein-Westfalen 4
Neben Bielefeld-Bethel ist das westfälische Nordkirchen eines der Zentren der kirchlichen Behindertenhilfe in NRW, mit vielen und großen Sondereinrichtungen von der Wiege bis zur Bahre. Der katholische Online-Dienst „Kirche und Leben“ feiert das Nordkirchener Konglomerat an Behinderteneinrichtungen jetzt unverfroren als „selbstverständliche Inklusion“. Möge allen Beteiligten als Strafe für diesen Etikettenschwindel die Hostie der kommenden Sonntagsmesse für immerdar am Gaumen festkleben.
Wo Inklusion selbstverständlich ist: So klappt es in Nordkirchen
Kirche und Leben
Nordrhein-Westfalen 5
Auch nach fünf Jahren Förderschul-freundlicher Landespolitik ist die Förderschule Nordeifel in Eicherscheid (Förderschwerpunkt Lernen) noch weit entfernt von der rechtlich verankerten Mindestschülerinnen*zahl. Jetzt erhofft man sich von der neuen Schulministerin eine Ausnahmegenehmigung. Mit dem Wohl der Schülerinnen* kann man das nicht begründen. Die kleinen Schulen sind nämlich nicht aus Willkür verboten, sondern weil sie kein vollständiges Unterrichtsangebot sicherstellen können.
Start an einer Schule mit Zukunft
Aachener Zeitung
Baden-Württemberg
Die inklusive Bildung ist seit 2015 im baden-württembergischen Schulgesetz verankert. Doch anstatt dies umzusetzen, siedeln Schulämter und Schulen lediglich Außenklassen von Sonderschulen an allgemeinen Schulen an. Die Landesregierung lässt sie gewähren.
Außenklassen unverdrossen allerorten
lag-bw
Fahrplan
Liegt es allein an fehlenden Ressourcen, wenn inklusive Bildung in Deutschland nicht vorankommt? Der Erzieher und Blogger Daniel Horneber sieht das größte Problem im gegliederten Schulsystem und hat einen Fahrplan entworfen:
Die wichtigsten Schritte zu inklusiver Bildung
Inklusion statt Integration
Berufsausbildung
Das Kölner Projekt „Ausbildung mittendrin“ begleitet junge Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung in und durch Duale Ausbildungen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Staatssekretär Rolf Schmachtenberg aus dem Bundesarbeitsministerium hat die ersten Azubis besucht und das Projekt als „richtungsweisend“ gelobt.
Kölner Ausbildungsprojekt für Menschen mit geistiger Behinderung weckt bundespolitisches Interesse
mittendrin e.V.
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