Inklusions-Pegel Dezember 2020
Ausgabe Nr. 12
Neues zum Thema Inklusive Bildung, liebe Leute!
Heute erhalten Sie eine neue Ausgabe unseres Newsletters INKLUSIONS-PEGEL, dem Folgeprojekt unserer Kampagne zum Film DIE KINDER DER UTOPIE. Hier berichten wir jeden Monat, was in Deutschland rund um die Umsetzung von Artikel 24 — inklusive Bildung — der UN-Behindertenrechtskonvention passiert. Dabei versuchen wir einerseits, die Bundesländer und Kommunen als Akteure der Schulpolitik im Blick zu behalten, und andererseits, die Nachrichten nach bundesweiter Relevanz zu filtern.
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Ihr mittendrin e.V.
Kaum zu glauben: Dies ist schon der 12. Inklusions-Pegel, der Ihnen monatlich ins Postfach geliefert wird. Wir haben es tatsächlich geschafft, ein ganzes Jahr lang einen großen Teil der deutschen Medien zum Teil bis in die Provinz nach Spuren der schulischen Inklusion zu durchforsten, die Berichterstattung einzuordnen und positive wie negative Entwicklungen systematisch zu beobachten.
Wie wichtig das ist, hat das Pandemie-Jahr 2020 auf besonders dramatische Weise gezeigt. Ist in der Krise doch so manche hübsche Kulisse gefallen. Es gab keine Zeit für warme Worte. Statt dessen haben die vielen notwendigen Corona-Entscheidungen gezeigt, wo Politiker:innen Prioritäten setzen – und wo eben nicht. Kinder, Jugendliche und erwachsene Menschen mit Behinderung sind bei den Entscheider:innen immer und immer wieder aus dem Blick geraten. Vielleicht hat sich aber auch nur gezeigt, dass sie noch nie wirklich im Blick gewesen sind.
Das Recht von Schüler:innen mit Behinderung auf Bildung und Teilhabe war im Pandemie-Jahr ständig und höchst gefährdet. Das gilt nicht nur fürs Gemeinsame Lernen. Auch die von vielen Politiker:innen so sorgsam gehüteten und geschützten Förderschulen haben lernen müssen, wie ihre Relevanz wirklich gewertet wird.
Ja, in diesem Jahr haben alle Schüler:innen an allen Schulen Bildungschancen verloren. Doch die größten Lücken wurden bei den Förderschüler:innen gerissen. Die Schulen erst später wieder geöffnet, die Notbetreuung restriktiver, der Distanzunterricht noch rudimentärer, die dauerhaften Unterrichtsausfälle erheblich größer, viele Therapien gestrichen. Noch schlimmer traf es eine unbekannte Zahl von Förderschüler:innen, die zeitweise vom Unterricht ausgeschlossen und vom Schülertransport nicht mitgenommen wurden, weil sie es nicht schaffen, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen.
Die UN-Behindertenrechtskonvention betont das Recht von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung auf Bildung und Teilhabe. Mit der Teilhabe sind wir noch nicht wirklich weit gekommen. Doch in diesem Jahr war nicht einmal die Bildung gesichert.
Mit unserem monatlichen Newsletter haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, in der Krise ebenso wie in normalen Zeiten hier immer wieder den Blick scharf zu stellen: Fortschritte zu benennen und bekannt zu machen, Ausflüchte zu demaskieren und Rückschritte auf dem Weg zur Inklusion ans Licht zu bringen.
Das finden wir wichtig, das tun wir gern und das tun wir ehrenamtlich. Denn für unsere politische Arbeit und unsere Öffentlichkeitsarbeit gibt es keine finanzielle Förderung. Wir freuen uns, wenn Ihnen der Inklusions-Pegel gefällt und wenn er Ihnen in Ihrem persönlichen Engagement für Inklusion nützt.
Wenn Sie uns noch mehr unterstützen wollen, empfehlen Sie den Inklusions-Pegel weiter oder stärken Sie uns mit einer Fördermitgliedschaft oder einer Spende!
Wir wünschen Ihnen angenehme Feiertage und einen gesunden Rutsch in ein besseres 2021!
Die Themen im Dezember
Teilhabebericht NRW
Das Land Nordrhein-Westfalen hat sich für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention gesetzlich zur Aktionsplanung und zu einem Monitoring verpflichtet. Jetzt ist der erste Teilhabebericht erschienen. Das Kapitel über Schule und Bildung ist eine knochentrockene Bilanz des bisherigen Scheiterns. Und es weist auf Fehlentwicklungen hin, die sonst gern unter den Teppich gekehrt werden:
Teilhabebericht NRW
Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW
Stellungnahme 1
Der Schulausschuss des Landtags hat zum Teilhabebericht eine Anhörung von Sachverständigen angesetzt. Hier die Stellungnahme des mittendrin e.V. …
Stellungnahme des mittendrin e.V.
Mittendrin e.V.
Stellungnahme 2
… und die Lage aus Sicht des Landschaftsverband Rheinland als Förderschulträger, hier mit einer Fülle interessanter Daten:
Stellungnahme des LVR
Landschaftsverband Rheinland
Teilhabe aktuell
Dass Papier geduldig ist, zeigt sich, wenn das zuständige Schulministerium zum wiederholten Male damit auffällt, Schüler:innen mit Behinderung bei Corona-Maßnahmen schlicht zu vergessen:
Viel Kritik an Inklusion in NRW
Rainer Striewski / WDR / 03.12.2020
Auftrag
Tapfer bemüht sich die UNESCO, die Bundesländer bei der schulischen Inklusion freundlich zu ermutigen und bescheinigt Deutschland, dass es „in kleinen Schritten“ vorankomme. Übersetzt aus Diplomatensprache ist das als ernste Ermahnung zu werten.
Zehn Jahre UN-Behindertenrechtskonvention
kultur-port / 03.12.2020
Arbeitsverweigerung 1
Warum die Schritte zur Inklusion in Deutschlands Schulen so winzig sind, kann man gleichzeitig in den Regionen studieren. Während die Stadt Hannover die inklusive Entwicklung fördert, plant die umliegende Region Hannover ungerührt von der UN-Behindertenrechtskonvention und parteiübergreifend durch die Fraktionen von CDU und SPD den Bau neuer Sonderschulen für Schüler:innen mit geistiger Behinderung. Begründung: es gäbe doch so viele Anmeldungen an dieser Schulform. Heftiger Widerspruch kommt vom Elternverein Mittendrin-Hannover. Victoria Schwertmann weist die Regionspolitiker daraufhin, dass sie die steigenden Anmeldezahlen selbst produziert haben: Indem sie bisher wenig dafür getan haben, dass Familien für Kinder mit geistiger Behinderung überhaupt Möglichkeiten der inklusiven Beschulung haben:
Kaum Inklusion im Umland? Förderschulkonzept in der Kritik
Neue Presse / 09.12.2020
Zum Artikel (Paywall)
Arbeitsverweigerung 2
Identische Reflexe kommunaler Politik lassen sich im badischen Rastatt beobachten. Diskutiert wird allenfalls, wo die neue Förderschule gebaut wird. Ob die steigende Nachfrage vielleicht mit einem schlechten Angebot für Inklusion zu tun hat, wird nicht einmal hinterfragt. Der gesetzliche Auftrag zur Inklusion wird ignoriert.
Pestalozzi-Schule Rastatt: Neues Gebäude auf dem Land oder weitere Räume im Stadtzentrum?
Gundi Woll / BNN / 10.12.2020
Ergebnis
Ob in der Region Hannover, in Rastatt oder anderswo: In vielen Regionen Deutschlands ist das oft beschworene Elternwahlrecht eine Farce. Man muss nur mal in die Realität schauen:
Das Märchen vom Elternwahlrecht
Simone Spicale / inkluenzerin / 04.12.2020
Schulbegleitung 1
Was selten im Blick ist: Die grundgesetzliche Schulpflicht in Deutschland bindet nicht nur Eltern und Kinder, für einen regelmäßigen Schulbesuch zu sorgen. Die grundgesetzliche Schulpflicht bindet auch den Staat und sein Schulwesen. Die Schule muss das Kind unterrichten. Sie darf grundsätzlich kein Kind vom Unterricht ausschließen, zum Beispiel weil eine Schulbegleitung ausfällt. Wie selbstverständlich Schulen in solchen Situationen gegen die staatliche Schulpflicht verstoßen, enthüllt – nebenbei und ohne es zu bemerken - dieser Bericht über den Mangel an Schulbegleitungspersonal in NRW:
Zwölf Schulbegleiter in drei Monaten: Wichtige Helfer für behinderte Kinder fehlen
Andreas Tiggemann / wa / 13.12.2020
Schulbegleitung 2
Auch in Bremen ist der Mangel an Schulassistenzen ein Dauerthema. Der Unterschied: Im Stadtstaat ist die Inklusion in den Schulen ein Thema, das ernsthaft auch mit seinen Hintergründen und Lösungsmöglichkeiten diskutiert wird.
Baustelle Inklusion an Bremer Schulen: Gibt es eine Lösung?
Heike Ziegler / buten und binnen / 15.12.2020
Messlatte
In Politik und Öffentlichkeit wird die Qualität inklusiver Bildung meist diskutiert, als ob man sie vorwiegend an der Zahl der Lehrerstellen bestimmen könnte. Erst langsam beginnt die Diskussion, nach welchen Maßstäben tatsächlich die inklusive Unterrichtsqualität gemessen werden könnte. Hier ein Versuch der Annäherung:
Schulische Inklusion messen
Anne Piezunka / bildungsklick / 10.12.2020
Wegweiser
Die Inklusion gehörloser Schüler:innen wird bis heute meistens mit dem bloßen Einsatz von Gebärdensprachdolmetscher:innen hingefrickelt. Hauptsache, das Kind versteht, was der/die Lehrer:in sagt. Ganz neue Perspektiven für Inklusion in der Schule entwickeln sich, wenn Inklusion so gedacht wird, wie sie gemeint ist: Als Veränderung der Gesellschaft. Der Deutschlandfunk berichtet von einer Klasse, in der alle Schüler:innen die Deutsche Gebärdensprache lernen:
Die ganze Klasse lernt Gebärdensprache
Vivien Leue / Deutschlandfunk Kultur / 08.12.2020
Mutmacherin
Die Bloggerin Ninia LaGrande gehört zu den wortmächtigsten Verfechterinnen der Teilhabe aller Menschen in dieser Gesellschaft. Können Sie sich irgendjemanden vorstellen, der sich trauen würde, dieser Frau ein Leben in Sonderwelten zu empfehlen?
Inkluencer: Mit Instagram für Inklusion und gegen Diskriminierung
Vanessa Wohlrath / NDR / 02.12.2020
Pflegereform
Manchmal fragt man sich, auf welcher Informationsgrundlage unsere Ministerien sich ihre Reformen basteln. Der Berliner Verein „Eltern beraten Eltern“, der übrigens gerade sein 35jähriges Bestehen feiert, mit einem Offenen Brief gegen die Absurdität, pflegenden Angehörigen jetzt ausgerechnet die bitter notwendigen kleinen Auszeiten im Alltag zusammen zu streichen:
Offener Brief von EbE zur Pflegereform 2021 – bitte teilen!
EbE Eltern beraten Eltern / 09.12.2020
Sonderwelt
Vor einem Jahr hat die „Initiative Inklusion“ eine grundlegende Diskussion über das unbeirrt aller Inklusionsdebatten weiter wachsende System der beschützenden Werkstätten gefordert. Sie lassen nicht locker:
„Wir brauchen eine Enquete der Werkstätten für behinderte Menschen!“
Ottmar Miles-Paul / kobinet-nachrichten / 01.12.2020
Geschäftemacherei
Die Kassenfinanzierung der vorgeburtlichen Bluttests auf Trisomien rückt näher. In Kürze wird der Gemeinsame Bundesausschuss erwartbar die Patienteninformation über diese Tests durchwinken. Danach entscheidet Jens Spahn. Doch weiß er, was er da entscheidet? Je tiefer man in die Materie einsteigt, desto deutlicher wird: Hier werden leichtfertig schwerwiegende politische Entscheidungen getroffen – und die Grundlage ist allein der Sprechzettel der Pharmaindustrie. Dies wurde überdeutlich in einer Web-Veranstaltung der Diakonie Württemberg:
Wieviel Wissen tut uns gut?
Diakonie-Württemberg / 14.12.2020
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