Inklusions-Pegel - Der Newsletter zu inklusiver Bildung in Deutschland

Inklusions-Pegel Februar 2023

Neues zum Thema Inklusive Bildung, liebe Leute!

Heute erhalten Sie eine neue Ausgabe unseres Newsletters INKLUSIONS-PEGEL, dem Folgeprojekt unserer Kampagne zum Film DIE KINDER DER UTOPIE. Hier berichten wir jeden Monat, was in Deutschland rund um die Umsetzung von Artikel 24 — inklusive Bildung — der UN-Behindertenrechtskonvention passiert. Dabei versuchen wir einerseits, die Bundesländer und Kommunen als Akteure der Schulpolitik im Blick zu behalten, und andererseits, die Nachrichten nach bundesweiter Relevanz zu filtern.

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Ihr mittendrin e.V.

Kommentar: Die Eule spricht

„Inklusion, ein anderes Wort für Demokratie“ betitelt die Süddeutsche Zeitung den Kommentar ihrer altgedienten Edelfeder Heribert Prantl. Wir bei mittendrin e.V. haben uns sehr gefreut das zu lesen. Wir selbst benutzen, wenn es um die Einordnung des Themas Inklusion geht, gern den Claim „democracy is about including everyone“, den wir zugegeben geklaut haben, von der südafrikanischen Schulbehörde. Dass es hierzulande Meinungsführende gibt, die unsere Sicht der Dinge stärken, war neu und schön. Aber ach, die Eule wünschte sich, der Rest des Kommentars wäre hinter der Paywall verborgen geblieben.

Leider hat der Verband ForseA  die Rechte bekommen, Prantls Text in voller Länge zu veröffentlichen und so kann man auch den restlichen Gedanken des Kommentators nicht mehr entgehen. Hier zeigt sich nun: Beim Thema Inklusion und Behinderung ist der Herr Prantl nicht ganz sattelfest und tragischerweise merkt er das nicht. Seine These, dass Behinderung eine „Ungerechtigkeit“ des Schicksals sei, mögen besser Menschen mit Behinderung und ihre Verbände bewerten. Immerhin propagiert Prantl ein paar Sätze lang die volle Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen.

Aber dann verrutscht ihm die Angelegenheit: Plötzlich ist pastoral davon die Rede, dass Inklusion die Entfaltung einer „Kultur des Helfens“ in unserer Gesellschaft verspreche. Und schon sind sie wieder weg, die selbstverständliche Teilhabe und der Respekt. Stattdessen hebt der gute alte Paternalismus sein Haupt und im Geiste sieht man Herrn Prantl unseren Behinderten die Köpfe streicheln und eine* Rollifahrerin ungefragt über die Straße schieben.

Sie hören die Eule seufzen. Fürchtet sie doch schon lange, dass der defizitorientierte Blick auf Menschen mit Behinderung bei den Deutschen inzwischen genetisch verankert ist, auch bei ihren selbstbewussten Vordenkerinnen*. Die Freude über den Satz mit der Demokratie weicht der sauren Erkenntnis, dass Herr Prantl bei allem Bemühen, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, insgeheim vom fürsorglichen, bedauernden und letztlich abgrenzenden Blick auf Menschen mit Behinderung nicht lassen kann. Da wundert es nicht mehr, dass er für Kinder und Jugendliche mit Behinderung vor allem ein Bedürfnis nach „geschützten Raum mit wenig Leistungsdruck“ imaginiert und ihre Versendung in Förderschulen dafür sehr „nützlich“ findet. Man darf es ja auch nicht übertreiben mit der Demokratie, vor allem nicht in den Schulen.

Ach, Heribert, die Eule will der zarten Kommentatorenseele nicht weiter öffentlich wehtun. Es ist jetzt erst einmal wichtig, dass Du Deine Grenzen erkennst. Wir bieten dir dafür einen geschützten Raum bei unserem freundlichen Elternverein. Da kannst Du die Beine hochlegen, bist willkommen und gut aufgehoben und wirst von Expertinnen* fachkundig im inklusiven Denken gefördert. Auch für Dich gibt es den passenden Förderort!

Die Themen im Februar

Prantl

Heribert Prantl, Journalist, Kommentator, Buchautor, u.a. „Glanz und Elend der Grundrechte“, hat in seinem Hausblatt, der Süddeutschen Zeitung, einen Kommentar veröffentlicht, unter dem Titel „Inklusion, ein anderes Wort für Demokratie“. Leider bleiben die restlichen Gedanken des Textes weit hinter dem tollen Titel zurück.

Inklusion, ein anderes Wort für Demokratie

Bundesverband Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen e.V.

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Ein Mann mit blauem Hemd, dunkelbraunem Jacket, braunem Haar und Vollbart lehnt an einer Wand und lächelt..


Söder

Wenn es Wahlkampf wird in Bayern, sucht Ministerpräsident Markus Söder nach Positionen, die er für volkstümlich hält. Dann wirft er sich gegen „Wokeness, Cancel Culture und Genderpflicht“ in Pose – und gegen Inklusion. Söder reist an zur Eröffnung einer 35,5 Millionen Euro teuren neuen Sonderschule und erklärt diese zum Statement für die bayerische „Freiheit der Schulwahl“.

Viel Lob für die Pallotti-Schule

Aichacher Zeitung

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Herr Söder eine Frau und zwei weitere Männer halten zu viert ein Tablett in den Händen, auf dem ein Schlüssel aus Laugengebäck liegt.


Bewegung I

Dass Söders „Freiheit der Schulwahl“ in Bayern tatsächlich nur für die Sonderschule gilt und eben nicht für die Inklusion, hätte der Ministerpräsident vier Tage zuvor in der Sitzung der Kinderkommission des Landtags erfahren können. Dort brachten die Vertreterinnen* des Dachauer Vereins „Kunterbunte Inklusion“ die Landtagsabgeordneten mit ihrer Sachkenntnis über die Nixklusion im Freistaat in Verlegenheit. Wie die SZ zusammenfasst: „In der Regel werden Kinder, die eine Förderschule besuchen - anders als der Name suggerieren mag - nicht ihrer Kompetenz entsprechend gefördert und gefordert, von Inklusion ganz zu Schweigen.“ Ideen, wie die Situation verbessert und Geld für die bitter nötige Beratungsarbeit des Elternvereins bereitgestellt werden kann, kamen den tief betroffenen Landtagsabgeordneten an diesem Tag nicht. Allerdings stellte die Kommissionsvorsitzende – die auch Vorsitzende der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald ist – in Aussicht, dass sie demnächst einen „Inklusionswald“ pflanzen will.

"Die Förderung muss zum Kind kommen - nicht umgekehrt"

Süddeutsche Zeitung

Zum Artikel (Paywall)

Ein Mann mit rot-kariertem Hemd, braunem Haar und transparenter Brille lacht.


Bewegung II

Noch ist nicht ausgemacht, ob die Schulpolitik im Landtagswahlkampf eine Rolle spielen wird. Das Bündnis Gemeinschaftsschule Bayern will darauf hinwirken und so auch die Bedingungen für inklusive Bildung verbessern:  

"Als Gesellschaft müssen wir uns streiten können"

Süddeutsche Zeitung

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Ein Junge steht vor der Klasse, eine Frau zeigt ihm ein Blatt, auf dem das Wort Bär steht. Beide lächeln..


Veranstaltung

Zu den ersten Aktionen des Bündnisses gehört eine Online-Veranstaltung am 15. März:

Wie eine längere gemeinsame Schulzeit Gerechtigkeit mehrt und Lernen befreit

Bündnis Gemeinschaftsschule in Bayern

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Logo des Bündnis GeminschaftsschuleBAyern. Darunter steht „Eine INKLUSIVE Schule für ALLE


Bewegung III

Auch im Vorschulbereich müssen Eltern von Kindern mit Behinderung in Deutschland immer noch um Inklusion kämpfen, hier im baden-württembergischen Lörrach. Und wie im bayerischen Dachau politisiert sich auch hier ein Elternverein: "Das größte Missverständnis ist doch, wenn die Gesellschaft meint, sich für oder gegen Inklusion entscheiden zu können. Inklusion ist aber nicht verhandelbar".

Fachkräftemangel und Bürokratie erschweren die Inklusion im Kreis Lörrach

Badische Zeitung

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Sieben Personen stehen nebeneinander und lächeln.


Lehrermangel

Das Infoportal News4Teachers widmet sich noch einmal der gemeinsamen Erklärung der Behindertenbeauftragten* von Bund und Ländern zur inklusiven Bildung. Der Lehrkräftemangel ist aus Sicht der Beauftragten* ein zusätzlicher Grund, das Nebeneinander von Förderschulen und Gemeinsamem Lernen abzubauen. Christian Walbrach, Behindertenbeauftragter des Landes Sachsen-Anhalt, kommentiert: „Leider müssen wir eine nahezu ungezügelte Ausweitung von Sondersystemen und sonderpädagogischen Förderbedarfen beobachten. Das ist aus meiner Sicht eine Sackgasse“.

Inklusion – Behindertenbeauftragte fordern (auch wegen des Lehrermangels): Förderschulen abschaffen!

News4Teacher

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Ein Mädchen mit hellblauer Brille und Down-Syndrom lacht und streckt den Arm nach vorne mit Daumen hoch.


Debatte I

Im Elternblog Stadtlandmama schildert eine Sonderpädagogin, was an ihrer Schule im Gemeinsamen Lernen alles fehlt und schlecht läuft. Sie kritisiert zu Recht die fehlenden Ressourcen. Sie schildert die fehlende Schulentwicklung. Sie schließt daraus, dass Inklusion eine Illusion sei. So weit, so bekannt. Zu schade, dass diese und ähnliche Analysen immer vergessen, genauso kritisch auf die Alternative zu blicken: So implizieren sie, dass Förderschulen förderten und ein rundum gelungener Bildungsort seien. Denn das ist die größte und verbreitetste Illusion.

Ist Inklusion nur eine Wunschvorstellung? Eine Förderlehrerin berichtet aus dem Alltag

StadtLandMama

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Leeres Klassenzimmer


Debatte II

Faszinierend ist, wie sehr sich die Debatte um inklusive Bildung verändert, wenn einmal nicht Lehrerinnen*, sondern (ehemalige) Schülerinnen* die Perspektive bestimmen. Dann sprechen wir plötzlich über Anerkennung, Teilhabe und den individuellen Beitrag, den Schülerinnen* (mit und ohne Behinderung) für die Gemeinschaft leisten.

Die Schule brennt – Podcast mit Bob Blume

SWR 3

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Portrait eines Mannes mit grauem Haar, dunkelgrauem Anzug und Krawatte lächelt.


Lehrerinnen*bildung

In Thüringen fordern Eltern(!), dass angehende Lehrerinnen* endlich regelhaft in der Ausbildung auf die Inklusion in den Klassenzimmern vorbereitet werden.

Elternvertreter fordern, Grundlagen der Inklusion in der Lehrerausbildung zu vermitteln

News4Teacher

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Ein Junge mit braunen Haaren schaut fordernd.

 


Schule I

Eine Illusion bleibt so lange Illusion, bis man sie verwirklicht: In einer Erfurter Grundschule lernen hörende und nicht-hörende Schülerinnen* in bilingualen Klassen.

Gebärdensprache im Klassenzimmer: Bilingualer Unterricht in Erfurter Gemeinschaftsschule

News4Teacher

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An einer Wand hängen Plakate mit Buchstaben und den dazugehörigen Gebärden.

 


Schule II

Der geplagte Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg bekommt eine inklusive sogenannte Langformschule, in der Kinder von der Einschulung bis zum Abitur unterrichtet werden. Damit sollen Brüche in der Bildungslaufbahn vermieden werden, die erfahrungsgemäß besonders die benachteiligten und/oder behinderten Schülerinnen* zurückwerfen. So geht kommunale Schulentwicklungsplanung für Brennpunkt-Standorte:

Von der Vorschule bis zum Abitur:
Wilhelmsburg bekommt eine neue Schule

hamburg.de

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Computergeneriertes Bild von einer Schule.

 


Arbeitsmarkt

In Deutschland grassiert der Arbeitskräfte-Mangel. Gleichzeitig wird Menschen, die arbeiten wollen, keine Chance gegeben – weil sie eine Behinderung haben. Das taugt als Sinnbild für das verkrampfte Verhältnis unserer Gesellschaft zu Menschen mit Behinderung.

Menschen mit Behinderung als Verlierer am Arbeitsmarkt

ardmediathek

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Ein junger Mann schiebt einen Wagen mit Wäsche.

 


Geld oder Leben

Der Aktivist Raúl Krauthausen ist genervt, wie die Debatte um Inklusion sich immer wieder auf das Thema Finanzen und Geld fokussiert, anstatt dass wir über Fortschritt und Menschenrechte reden. Hier sein sehr lesenswerter Rant:

Auf Kosten behinderter Menschen – wie das Geldthema Inklusion verfehlt

raul.de

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Ein Frau im Rollstuhl hält ein Plakat in die Höhe, auf dem steht: Teilhabe statt Ausgrenzung. Hinter und neben ihr stehen weitere demonstrierende Menschen.

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