Inklusions-Pegel Februar 2020
Ausgabe Nr. 2
Neues zum Thema Inklusive Bildung, liebe Leute!
Heute erhalten Sie eine neue Ausgabe unseres Newsletters INKLUSIONS-PEGEL, dem Folgeprojekt unserer Kampagne zum Film DIE KINDER DER UTOPIE. Hier berichten wir jeden Monat, was in Deutschland rund um die Umsetzung von Artikel 24 — inklusive Bildung — der UN-Behindertenrechtskonvention passiert. Dabei versuchen wir einerseits, die Bundesländer und Kommunen als Akteure der Schulpolitik im Blick zu behalten, und andererseits, die Nachrichten nach bundesweiter Relevanz zu filtern.
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Ihr mittendrin e.V.
Fördert Förderschule? Unter den Bildern, die die deutsche Debatte um inklusive Bildung prägen, ist dies ein Klassiker: Für uns steht fest, dass unsere Förderschulen hervorragende Bildungsanstalten seien, in denen eine Vielzahl von Spezialist*innen die Kinder und Jugendlichen mit Behinderung intensiv und fachgerecht förderten. Bilder wie diese werden selten hinterfragt.
Oder haben Sie sich schon einmal gefragt, was das eigentlich ist, diese Förderung? Was genau tun die Sonderschullehrer*innen, wenn sie fördern? Jetzt denken Sie vielleicht an Orientierungstraining für blinde Schüler*innen oder an Kommunikationstraining mit hör- oder sprachbehinderten Schüler*innen. Das sind in der Tat wertvolle Fördermaßnahmen, die Schüler*innen außerhalb der Förderschulen nur selten bekommen.
Aber was könnte die spezialisierte Förderung für Schüler*innen sein, denen eine kognitive Behinderung attestiert worden ist? Viele Eltern melden ihre Kinder an diesen Schulen mit der Erwartung an, dass dort besonders viel Zeit und Mühe darauf verwendet wird, ihnen zum Beispiel Lesen und Schreiben beizubringen. Ein Blick auf die Stundenpläne lehrt anderes.
Die Schüler*innen bekommen NICHT MEHR Unterricht in Sprache und Rechnen, sondern deutlich WENIGER als in allgemeinen Schulen. Der größte Teil des Schultags ist mit anderen Dingen ausgefüllt: Mit Frühstücken, basteln, backen und Obstquark zubereiten. In den höheren Klassen mit einkaufen, bügeln, Betten machen, dem Werken von Insektenhotels und Praktika in der Behindertenwerkstatt. Der Fachbegriff dafür ist lebenspraktische Förderung.
Die Begründung für die extreme Reduzierung eigentlicher Bildungsangebote ist stets, dass die behinderten Schüler*innen nicht überfordert werden dürften und das meiste, was allgemein unter Bildung verstanden wird, im weiteren Leben auch gar nicht bräuchten. Die sicherlich richtige Einschätzung, dass junge Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen letztlich weniger Bildung erreichen werden als andere junge Menschen wird damit zur Begründung, gar nicht erst zu versuchen, was an Bildung individuell möglich ist. Wie das im Alltag aussieht, lesen Sie im folgenden Blogbeitrag.
Damit Sie wissen, wovon Sie reden, wenn Sie das nächste Mal die exzellente Förderung in unseren Förderschulen im Munde führen.
Die Themen im Februar
Förderschule
Henris Mutter hat ihren Sohn bewusst an eine Förderschule wechseln lassen. Ihr Bericht ist leise, sachlich und erschütternd. Pflichtlektüre für jede*n Bildungspolitiker*in.
Keine Halbjahreszeugnisse für G-Kinder / Henris Förderung an der Förderschule
Blog henri-mittendrin.de / 11.02.2020
Förderschule
Absicht oder Inkompetenz? Jahrelang äußern sich die Bundesregierung und ihr zuständiges Ministerium für Bildung und Forschung gar nicht zum Thema inklusive Bildung. Jetzt meldet sich ausgerechnet die nicht zuständige Familienministerin Franziska Giffey zu Wort. Und produziert dabei eine Schlagzeile, in der sie nicht etwa für inklusive Bildung wirbt, sondern für den Erhalt der Förderschulen. Sie betreibt also keine Bewusstseinsbildung, sondern konterkariert sie. Genau so trägt man nicht dazu bei, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen.
Inklusion? Ja, aber… Giffey zeigt sich skeptisch, Förderschulen zu schließen
News4teachers / 25.02.2020
Förderschule
Der Landschaftsverband Rheinland LVR verwaltet Leistungen für Menschen mit Behinderung und ist ein großer Fürsprecher der Inklusion. Wie können die Politiker im LVR-Parlament mit ihrer inklusiven Überzeugung vereinbaren, dass sie ihre Verwaltung jetzt mit der Planung gleich mehrerer zusätzlicher Förderschulen beauftragen? Ganz einfach: Indem sie sie gleichzeitig mit dem mangels Zuständigkeit völlig aussichtslosen Versuch beauftragen, die inklusive Bildung zu fördern. Man könnte das „inklusiv antäuschen“ nennen, hier in einer Verwaltungsvorlage von beeindruckender taktischer Eleganz:
Fortlaufende Schulentwicklungsplanung: Handlungskonzept "Schulraumkapazität 2030"
LVR / Vorlage Nr.14/3817 / 06.01.2020
Förderschule
Oft heißt es, wir bräuchten Förderschulen, damit auch Kinder mit großen Verhaltensschwierigkeiten in die Schule gehen können. Das Diakonische Werk Rheinland-Westfalen-Lippe stellt eine Untersuchung vor, nach der eine größere Zahl von Heimkindern dort nicht unterrichtet, sondern beurlaubt wird.
Viele Heimkinder bekommen kaum noch Unterricht, weil Lehrer mit ihnen überfordert sind
News4teachers / 28.01.2020
Dazu passen aktuell gleich zwei Berichte über die Neugründungen von privaten Förderschulen für Schüler*innen mit besonders großen Verhaltensproblemen. Kommt jetzt der Trend zu Sonder-Sonderschulen?
Zu wenig Unterricht: Jugendhilfe will im Sommer 2021 an Start gehen mit neuer Förderschule
Thomas Aschwer/ Ruhrnachrichten / 30.01.2020
Hamminkeln: Das ist das Konzept der privaten Förderschule
NRZ / 04.02.2020
Förderschwerpunkte
Die Kultusministerkonferenz hat ihre Empfehlungen für den Förderschwerpunkt Lernen erneuert. Eine Antwort auf die Frage, wie man eine Lernbehinderung sicher diagnostizieren und von „normalen“ schlechten Schulnoten abgrenzen kann, liefert sie erneut nicht. Brigitte Schumann wertet das Papier darüber hinaus als Zementierung des Sonderschulsystems.
KMK-Empfehlungen zur Verfestigung des sonderpädagogischen Systems
Dr. Brigitte Schumann / bildungsklick.de / 05.02.2020
Schulbegleiter
Das Thema Schulbegleitung hat viele Facetten. Einerseits gibt es immer wieder Fälle, in denen dringend gebrauchte Einzelfallhelfer*innen von den kommunalen Ämtern nur schleppend genehmigt oder sogar verweigert werden …
Inklusion: Der lange Weg zum Schulbegleiter
NDR / hallo Niedersachsen / 08.02.2020
… andererseits beklagen Kommunen die immens steigenden Kosten für Schulbegleitung und rechnen diese der Inklusion zu. Leider wird auch hier nicht thematisiert und oft nicht einmal ausgewiesen: Die meisten Schulbegleiter*innen arbeiten nicht in inklusiven Schulen, sondern in Förderschulen. Fragen Sie in Ihrer Kommune nach!
Inklusion an Schulen: Kosten seit 2013 verdoppelt
NDR 1 Niedersachsen / 08.02.2020
Bewusstseinsbildung
Politiker und Medien beschäftigen sich oft und viel damit, warum Inklusion in der Schule nicht gehe. Gelegenheiten, sich konstruktiv mit dem Thema inklusive Bildung zu beschäftigen, sich über Möglichkeiten und Erfahrungen zu informieren, sind dagegen rar gesät. Und meistens sind es nicht staatliche Stellen, sondern Eltern, die das organisieren. Vom 12. bis 19. März findet der zweite Online-Kongress zu inklusiver Bildung statt. 4.000 Interessierte haben sich nach Angabe der Veranstalterin schon angemeldet. Hier ist der Link:
Alles inklusiv? 2.0
2. Onlinekongress zur schulischen Inklusion
12. - 19. März 2020
Ausbildung
Dass junge Menschen mit Behinderung eine Berufsausbildung machen, ist die Ausnahme. Der Verein Sozialhelden hat zu einem ersten Runden Tisch eingeladen.
Beim Thema Ausbildung und Inklusion schauen wir in ein schwarzes Loch
Dörte Hein / Sozialhelden e. V. / 28.01.2020
Debatte
Befürworter inklusiver Bildung verstehen unter Inklusion oft sehr unterschiedliche Dinge. Der Blog Elfenbeinhochhaus analysiert, warum darüber zum Teil heftiger Streit entsteht:
Was ist Inklusion? Oder: warum sich Leute streiten, die für das gleiche kämpfen
Dr. Jennifer Lambrecht / Blog elfenbeinhochhaus.com / 27.1.2020
Blick über den Tellerrand
Ausgrenzung trifft nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern oft auch ihre Angehörigen. Die Solidarität der Gesellschaft wird schmerzlich vermisst:
Diese Eltern sind unerhört
Friederike Gräff / taz / 08.02.2020
Blick über den Tellerrand
Der Bluttest auf Trisomien soll zur Kassenleistung werden. Ist dies eine rationale und gesellschaftlich sinnvolle Entscheidung? Enttäuscht über die oberflächliche Debatte auch im Deutschen Bundestag hat der mittendrin e.V. eine hochkarätig besetzte Diskussionsveranstaltung organisiert – unter dem Titel „Angst oder Vernunft? Was steht hinter der Debatte um den Bluttest auf Trisomien?“. Wer nicht dabei sein konnte, kann die überraschenden Einblicke des Abends jetzt in einer Dokumentation nachvollziehen:
Angst oder Vernunft? Was steht hinter der Debatte um den Bluttest auf Trisomien?
mittendrin e.V. / Podiumsdiskussion / 03.12.2019
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