Inklusions-Pegel Februar 2022
Neues zum Thema Inklusive Bildung, liebe Leute!
Heute erhalten Sie eine neue Ausgabe unseres Newsletters INKLUSIONS-PEGEL, dem Folgeprojekt unserer Kampagne zum Film DIE KINDER DER UTOPIE. Hier berichten wir jeden Monat, was in Deutschland rund um die Umsetzung von Artikel 24 — inklusive Bildung — der UN-Behindertenrechtskonvention passiert. Dabei versuchen wir einerseits, die Bundesländer und Kommunen als Akteure der Schulpolitik im Blick zu behalten, und andererseits, die Nachrichten nach bundesweiter Relevanz zu filtern.
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Ihr mittendrin e.V.
Als die Eule jung war, galt es in Deutschland als schlimmstmögliche Bloßstellung für Politikerinnen*, wenn sie* erwischt wurden, den aktuellen Preis für ein halbes Pfund Butter oder einen Liter Milch nicht zu kennen. Das klingt banal, aber es ist nicht banal. Gute Politik kann nur gemacht werden, wenn Politikerinnen* die Lebensrealität der Bürgerinnen* kennen und ernst nehmen.
In diesem Sinne: Sind politische Verantwortungsträgerinnen* heute in der Corona-Pandemie über die Lebensrealitäten von Familien mit vorerkrankten Kindern informiert? Nun ja.
Zu den ganz Ahnungslosen gehört zum Beispiel der nordrhein-westfälische Familien(!)minister Joachim Stamp, wenn er mit Gesten der Nachsicht von „Familien, die Angst haben“ spricht und damit die tatsächliche Gefährdungslage, mit der diese Familien umgehen müssen, in den Bereich von bloßen Befindlichkeiten schiebt.
Auf der gleichen Höhe der Ahnungslosigkeit bewegt sich die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, die schleswig-holsteinische Schul(!)ministerin Karin Prien. Sie belehrte betroffene Eltern im Kurznachrichtenkanal Twitter, dass Kinder, soweit sie covid-infiziert sterben, nur mit Covid und extrem selten an Covid stürben.
Man kann sich kaum entscheiden, was an der Angelegenheit unfassbarer ist. Ist es die extreme Kaltschnäuzigkeit, mit der der Tod von Kindern relativiert wird, für die eine Covid-Infektion so oder so die eine Infektion zu viel war? Tot ist tot. Oder ist es die Fremdscham auslösende Weinerlichkeit, mit der die Ministerin sich den wütenden Protesten mit einem Rückzug von Twitter entzieht, um sich dann in der Presse als Opfer einer Kampagne eines phantasierten NoCovid-Machtzirkels zu inszenieren?
Liebe Frau Ministerin, Sie sprachen auf Twitter mit richtigen Menschen. Sie sprachen mit Eltern, die realistisch damit rechnen müssen, dass genau ihr Kind eine Covid-Infektion nicht überleben wird. Die sich deshalb mit der ganzen Familie weitgehend isolieren und kaum noch Unterstützung haben. Die aber mit Geldstrafen bedroht werden, wenn sie ihre Kinder in Hochinfektionsphasen aus übervollen Klassenzimmern fernhalten. Denen, wenn sie eine Befreiung von der Präsenzpflicht erreichen, sämtliche Bildungsangebote für die Kinder im notwendigen Distanzlernen verweigert werden. Und für die Sie keine Antwort, ja nicht einmal ein Wort haben, wie das alles für sie weitergehen soll, wenn Maskenpflicht und Testungen an den Schulen aufgehoben werden.
Viele dieser Eltern sind sehr wütend, weil sie ihre Lebensrealität und die hohe Gefährdung ihrer Kinder von Politikerinnen* ignoriert sehen. Sie werden noch wütender, wenn sie von diesen Politikerinnen* obendrein als Akteure einer vorgeblich finsteren Kampagne imaginiert werden, weil sie ihrer Wut Ausdruck verliehen haben. Das ist schlimmer, als den Preis eines halben Pfunds Butter nicht zu kennen. Das ist Realitätsverweigerung, next Level.
Die Themen im Februar
Schattenfamilien
Sie leben seit zwei Jahren in weitgehender Isolation, um ihre gefährdeten Kinder zu schützen. Bei den Maßnahmen gegen die Pandemie werden sie nicht mitbedacht. Jetzt werden sie selbst in ihrer Wut darüber nicht ernst genommen, sondern bezichtigt, Teil parteipolitischer Kampagnen zu sein.
Nach Eklat um verstorbene Kinder: KMK-Präsidentin legt ihr Twitter-Konto still – Debatte um „Schattenfamilien“
News4Teacher
Faktencheck
Ein Tweet der Präsidentin der Kultusministerinnen*konferenz hat Eltern von vorerkrankten Kindern vor den Kopf gestoßen. Wie stimmig ist Frau Priens Faktenbasis?
Covid-Sterbezahlen bei Kindern, eine Bildungsministerin und ein misslungener ARD-Faktencheck
Scilogs.Spektrum
Bundestag
Kann der Bund mehr tun für die Durchsetzung der inklusiven Bildung? Die behindertenpolitische Berichterstatterin der Grünen-Bundestagsfraktion will einen Bildungsgipfel einberufen, unter Beteiligung der Zivilgesellschaft:
"Behinderung wird in der Arbeitswelt noch immer als Makel gesehen"
Zeit
Etiketten 1
Die Zahl der Feststellungsverfahren von sonderpädagogischen Förderbedarfen läuft völlig aus dem Ruder. Keine Landesregierung hat bisher ein Mittel dagegen gefunden. Aber brauchen wir diese offiziellen Feststellungsverfahren überhaupt, um Kinder gut zu fördern? Unverzichtbar sind sie nur für die Ressourcenbeschaffung und den Selbsterhalt der Förderschulen, meint die Bildungsjournalistin Brigitte Schumann:
Plädoyer für das Ende sonderpädagogischer Feststellungsverfahren
bildungsklick
Etiketten 2
Überall im Land gibt es engagierte Sonderpädagoginnen*, die das Gemeinsame Lernen voranbringen. Was oft fehlt, ist Reflektion und Supervision zu der Frage: Sind wir sicher, dass uns hier zusätzliche Förderbedarfe und sonderpädagogische Förderbedarfe nicht durcheinandergeraten? Sie stellt sich spätestens, wenn Pädagoginnen* davon sprechen, es gäbe „eigentlich bei uns noch so viel mehr Kinder, die diagnostiziert werden müssten“.
Individuelle Hilfe für Kinder mit Förderbedarf
General-Anzeiger
Ressourcen
Hamburg schlägt bei der Inklusion den falschen Weg ein, meint die Bildungsgewerkschaft GEW und fordert eine Rückkehr zur pauschalen systemischen Personalausstattung der Schulen.
Eine Initiative des Hamburger Bündnisses für Inklusion
life PR
Schulbegleitung
Bundesweit ist das System der Schulbegleitung durch die Pandemie unter die Räder gekommen. Vielerorts herrscht dramatischer Personalmangel, weil Arbeitskräfte abgewandert sind. Dazu kommen Verwaltungsprobleme. Mittlerweile ist die Beschulung vieler Schülerinnen* mit Behinderung gefährdet.
Landkreis Landsberg: »Krankt« das System Schulbegleitung?
Merkur
Information
Inklusion braucht Information! Denn viele Eltern, die ihre Kinder an Förderschulen anmelden, sind nie gründlich informiert worden, welche Möglichkeiten und Rechte ihr Kind in der inklusiven Schule hat. In der selbst ernannten „Inklusionsstadt“ Karlsruhe organisieren Stadt und die örtliche Initiative Eltern und Freunde der Inklusion EFI dafür seit Jahren gemeinsam mit dem staatlichen Schulamt ein „Elternforum Inklusion“. Jetzt hat das staatliche Schulamt die Veranstaltung abgesagt. Als Begründung dient die Corona-Pandemie. Stadt und EFI sind empört.
Ärger um Absage von Elternforum Inklusion: Stadt Karlsruhe stellt sich hinter betroffene Familien
Badische Neueste Nachrichten
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Förderschulen
In der Debatte um Inklusion dient die vorgeblich hohe Qualität der Förderschulen oft als Argument der Skeptikerinnen*. Dazu mag so gar nicht passen, dass der Landeselternverband gehörloser und schwerhöriger Kinder und Jugendlicher NRW e.V. nicht zum ersten Mal darauf aufmerksam macht, dass ihre Kinder dort immer noch überwiegend von Lehrerinnen* unterrichtet werden, die der Deutschen Gebärdensprache nicht mächtig sind.
17 Jahre Stillstand
Landeselternverband
Geld
Bei der inklusiven Bildung leiden viele Kommunen unter geteilter Wahrnehmung. Inklusion wird stets als viel zu teuer empfunden. Für Sonderschulen dagegen werden mit Freude Millionensummen ausgegeben. Im sächsischen Delitzsch stellt ein Pädagoge diese Politik nun öffentlich in Frage. Die Summe von 24 Millionen Euro für einen neuen Förderschulcampus solle lieber in die Inklusion investiert werden:
Delitzsch: Förderschulcampus? Experte will mehr Inklusion
Leipziger Volkszeitung
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Lehrerinnen*bildung 1
Für die inklusive Bildung entfaltet die Schweiz bisher wenig Kreativität. Umso überraschender: Die pädagogische Hochschule Unterstrass bildet Menschen mit kognitiver Behinderung zu Assistenzlehrerinnen* aus. Sie sollen die Integration von Kindern mit Behinderung unterstützen:
Ecolsiv – Lehrer mit Beeinträchtigung
3sat
Lehrerinnen*bildung 2
Das Institut für inklusive Bildung der Uni Kiel hat ein Projekt initiiert, in dem an mehreren Standorten bundesweit Menschen mit Behinderung zu Bildungsfachkräften ausgebildet werden. Jetzt beginnen die ersten Teams, an Hochschulen angehende Pädagoginnen*, aber auch Polizistinnen* für die Berücksichtigung von Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung schulen.
Spezielles Fachwissen – wenn Menschen mit Behinderung Führungskräfte ausbilden
Welt
Alphabetisierung
Unter den Analphabeten in Deutschland sind viele Menschen, die eine Förderschule besucht und dort weder Lesen noch Schreiben gelernt haben. Ein neues Buch richtet den Blick darauf, wie diesen Menschen in Alphabetisierungskursen der Erwachsenenbildung geholfen werden kann.
Buch zur inklusiven Bildung in der Alphabetisierungspraxis
kobinet-nachrichten
Mythen
Reinhard Stähling und Barbara Wenders haben ein Buch darüber geschrieben, welche Ressourcen Brennpunktschulen für das Lernen bergen und kritisieren den kolonialen Blick bildungsbürgerlich aufgewachsener Lehrerinnen* auf arme Menschen.
Der Mythos der anregungsarmen Schule
nd-aktuell
Debatte
Das Zentrum polis in Österreich beschäftigt sich mit inklusiver Bildung. In dieser Folge sprechen u.a. Johanne Dorfner von Integration Wien und Rainer Grubich von der Pädagogischen Hochschule Wien über die Möglichkeiten inklusiver Bildung und was dafür getan werden muss.
Podcast Richtig & Falsch über Inklusion in der Schule
bizeps
Bewusstseinsbildung
Auch in Nord-Mazedonien gehen Kinder mit Behinderung bisher auf getrennte Sonderschulen. Inklusion stößt bei vielen Menschen auf Ablehnung, bis hin zu Forderungen von Eltern, das behinderte Kind solle die Klasse oder die Schule verlassen. Das gibt es auch in Deutschland. Was es hier nicht gibt: Eine* Regierungschefin*, die* sich der Sache annimmt und die abgelehnte Schülerin persönlich zur Schule begleitet. Große Geste und praktische Bewusstseinsbildung!
Mädchen mit Down-Syndrom wird gemobbt – der Präsident stellt sich an ihre Seite
stern
Elternwahlrecht
Wenn Inklusion halbherzig verwirklicht wird, gehören die Schülerinnen* mit Behinderung immer nur auf Abruf dazu. Das scheint in Frankreich nicht anders zu sein als in Deutschland:
Inklusion im Bildungssystem – Das Kratzen an der gläsernen Decke
Zeit
Jugendarbeit
Das neue nordrhein-westfälische Kinder- und Jugendstärkungsgesetz ist vor allem dafür bekannt, dass es die Zuständigkeit der Jugendämter für alle Kinder und Jugendlichen erweitert und die Rechte von Jugendlichen in Einrichtungen und Pflegefamilien stärkt. Es führt jedoch auch den Gedanken der inklusiven Öffnung der Jugendarbeit für Kinder und Jugendliche mit Behinderung ein. Die Stadt Monheim verpflichtet die Träger der Jugendarbeit nun zur Umsetzung.
Offene Jugendarbeit muss inklusiv werden
RP Online
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