Inklusions-Pegel Februar 2021
Ausgabe Nr. 14
Neues zum Thema Inklusive Bildung, liebe Leute!
Heute erhalten Sie eine neue Ausgabe unseres Newsletters INKLUSIONS-PEGEL, dem Folgeprojekt unserer Kampagne zum Film DIE KINDER DER UTOPIE. Hier berichten wir jeden Monat, was in Deutschland rund um die Umsetzung von Artikel 24 — inklusive Bildung — der UN-Behindertenrechtskonvention passiert. Dabei versuchen wir einerseits, die Bundesländer und Kommunen als Akteure der Schulpolitik im Blick zu behalten, und andererseits, die Nachrichten nach bundesweiter Relevanz zu filtern.
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Ihr mittendrin e.V.
Wir befinden uns im Jahr 2021. Ganz Deutschland tut sich schwer mit der inklusiven Bildung. Ganz Deutschland? Nein! Wer sich tief in den Bildungsbericht 2020 gräbt – also wirklich tief, denn Schülerinnen* mit Behinderung werden dort nur auf zwei von 361 Seiten thematisiert – der kann sich in die Zeit zurückversetzt fühlen, in der Deutschland noch der regionale Überbegriff für ein ganzes Bündel eigensinniger Fürstentümer war.
Da gibt es Inseln des inklusiven Fortschritts und große Wüsteneien der pädagogischen Rückständigkeit. Man darf sich fragen, was eigentlich die Kultusministerkonferenz in den vergangenen zwölf Jahren getan hat, außer sich gegenseitig beim Thema Inklusion nicht auf die Zehen zu treten. Schließlich leben wir in einem föderalen Nationalstaat, der es sich in seiner Verfassung zur Aufgabe gemacht hat, seinen Bürgerinnen* vergleichbare und gleichwertige Lebensverhältnisse zu bieten.
Aber schauen wir hin: Im Bundesland Bremen besuchen nach zwölf Jahren inklusiver Entwicklung noch 0,9 Prozent aller Schülerinnen* eine Sonderschule. Auch Schleswig-Holstein (2,2 %), Hamburg (2,9 %) und Berlin (2,4 %) sind beim Abbau der getrennten Beschulung von Schülerinnen* mit Behinderung ganz ordentlich vorangekommen. Dies beweist noch nicht, dass dort mit der inklusiven Bildung alles in Ordnung sei. Aber es beweist immerhin: Der Weg zur inklusiven Bildung ist auch in Deutschland möglich.
Welche Gründe mag es also geben, dass andere Bundesländer im Vergleich so eklatant versagen? Zum Beispiel das Land Baden-Württemberg, in dem der Anteil der Sonderschülerinnen* sogar von 4,5 % auf 4,8 % gestiegen ist? Desgleichen Bayern, wo ebenfalls mit 4,7 % heute mehr Schülerinnen* Sonderschulen besuchen als zu Beginn des „bayerischen Wegs der Inklusion“? Oder die Länder Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, die mit 5,7 % und 5,9 % Sonderschulanteil die rote Laterne der Exklusion tragen?
Handelt es sich um wirtschaftlich benachteiligte Regionen? Um sozial besonders belastete Landstriche? Nein, es handelt sich überwiegend um Bundesländer, deren Schulministerinnen* bei jeder Gelegenheit wie die Gockel krähen, dass ihre Schulen denen in anderen Bundesländern weit überlegen seien. Es ist an der Zeit, sie auf diesen Widerspruch hinzuweisen.
Die Themen im Februar
Bildungsbericht I
Die Zahl der Schülerinnen* mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Deutschland ist in zwölf Jahren von rund 430.000 auf 550.000 gestiegen. Mehr Informationen zum weitgehend verpatzten Aufbau der inklusiven Bildung liefert der Bildungsbericht 2020 im Tabellenanhang.
Bildung in Deutschland 2020.
Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung in einer digitalisierten Welt
bildungsbericht
Bildungsbericht II
Der Sozialverband Deutschland kommentiert den Bildungsbericht und beurteilt die inklusive Entwicklung als mangelhaft.
Bildungsbericht 2020: Schulische Inklusion mangelhaft
Kobinet Nachrichten
Inklusionsdebatte
Treffen sich zwei Sonderpädagogen… und demonstrieren ungewollt, dass wir in der öffentlichen Debatte um inklusive Bildung in den vergangenen Jahren keinen Schritt vorangekommen sind. Der eine findet Inklusion gut, der andere auch – aber nur, wenn er seine Förderschulen trotzdem erhalten darf. Interessant und neu wäre, wenn die taz die beiden Herren noch einmal einlädt und dazu befragt, wie und in welchen konkreten Schritten wir beim Aufbau der Inklusion vorankämen.
Sozialpädagogen über Inklusion:
„Eine radikale Herausforderung“
taz
Schulreform I
Die Pandemie legt schonungslos die Schwächen unseres Schulsystems offen. Und tatsächlich zeichnen sich die Anfänge einer allgemeinen Bildungsdebatte ab. Einer Debatte, zu der die Inklusion viel beitragen könnte:
Inklusion an Schulen:
Wir brauchen sie immer noch
taz
Schulreform II
Digitalisierung ist zur Zeit das heiße Thema. Aber, wie schon Raúl Krauthausen sagte: Wer ein Scheißsystem digitalisiert, hat danach ein digitales Scheißsystem. Entschuldigen Sie bitte stellvertretend die drastische aber treffende Ausdrucksweise. Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung, fordert deshalb einen gründlichen Umbau des Schulsystems:
Schluss mit dem Dachsbau-Prinzip!
Blog Jan-Martin Wiarda
Schulreform III
In der Pandemie lässt sich gut beobachten, warum uns eine Modernisierung unserer Schulen so schwer fällt. Während viele Schülerinnen* zwischen Quarantäne und Distanzunterricht die Anbindung an Schule und Bildung völlig verlieren, debattiert die Öffentlichkeit über ein notwendiges Festhalten am Zentralabitur. Es sind veraltete Vorstellungen von einer guten Schule, die die Verhältnisse betonieren:
Wie ein altes Bild von Schule nötige Reformen verhindert
Blog Bildungslücken
Landtagswahl I
Im Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg geht es viel um Schulpolitik – auch, weil die amtierende Schulministerin gegen ihren Ministerpräsidenten antritt. Die Elternbewegung Gemeinsam Leben – Gemeinsam Lernen hat Wahlprüfsteine formuliert:
Wahlprüfsteine zur Inklusion in Baden-Württemberg
Kobinet Nachrichten
Landtagswahl II
Auch in Freiburg haben Bürgerinnen* die inklusive Bildung zum Wahlprüfstein gemacht. Die Online-Diskussion mit den örtlichen Landtagskandidatinnen* unter dem Titel „Schulische Inklusion in Baden-Württemberg in der Sackgasse. Wie kommen wir da raus?“ wurde gestreamt und ist unter folgendem Link auch nachträglich zu schauen:.
Diskussion: Schulische Inklusion in Baden-Württemberg in der Sackgasse. Wie kommen wir da raus?
Youtube
Zur aufgezeichneten Diskussion auf Youtube
Corona I
Isoliert, von Bildung abgedrängt, von Unterstützungssystemen abgekoppelt: Elternvertreter ziehen eine Bilanz der Situation von Schülerinnen* mit Behinderung in der Pandemie:
Experten bemängeln Isolation von Schülern mit besonderem Förderbedarf
news4teachers
Corona II
Die Aktion Mensch hat zum gleichen Thema einzelne Familien mit Kindern mit Behinderung befragt – mit dem gleichen Ergebnis:
Behinderte Schüler*innen beim Homeschooling nicht abhängen
Kobinet Nachrichten
Corona III
Auch aus Sicht der Pädagoginnen* bleibt die Situation der Schülerinnen* mit Behinderung unbefriedigend, vor allem im Distanzunterricht und in den Förderschulen:
Wie Corona die Arbeit von Förderschulen beeinflusst
Weser Kurier
Ressourcen I
Überall und immer wieder gibt es Klagen, dass Sonderpädagoginnen* an allgemeinen Schulen nicht für die Inklusion eingesetzt werden, sondern um allgemeine Lücken zu füllen. Um dies zu verhindern, hat Berlin den Schulen des Gemeinsamen Lernens in einer Hau-Ruck-Aktion hunderte Förderlehrer abgezogen. Die Schulen bekommen sie nur zurück, wenn sie ein Konzept vorlegen. Positive Steuerung stellt man sich anders vor:
Jede dritte Förderstunde zur Disposition
Berlin verteilt hunderte Lehrer um – und schickt sie in einen Stellenpool
Der Tagesspiegel
Ressourcen II
Seit der „Neuausrichtung“ der Inklusion verspricht NRW den Schulen der Sekundarstufe für die Inklusion kleinere Klassen und eine gesicherte Personalausstattung. Es sei denn, das klappt nicht. Wie hier in Wuppertal:
GEW: Förderung von Kindern mit Behinderung in Gefahr
wuppertaler Rundschau
Routine
Vielerorts zeigt sich, dass Kommunalpolitikerinnen* die Verpflichtung zum Aufbau der inklusiven Bildung noch nicht realisiert haben. Wie eh und je werden bereitwillig Millionenbeträge in neue Förderschulen gesteckt:
SPD spricht sich für dritte Förderschule im Kreis Unna aus
wa
Kleinmut
Auch in den Regionen Niedersachsens ist die Zeit stehen geblieben. Anstatt konsequent das Gemeinsame Lernen auszubauen, richten zwei Schulen in Visselhövede bei Rotenburg an der Wümme eine erste Kooperationsklasse ein – und wähnen sich dadurch „mit großen Schritten auf dem Weg zur Inklusion“. No comment.
Schulen wollen eine Kooperationsklasse in Visselhövede einrichten
kreiszeitung
Sozialraum
Im Münchner Stadtbezirk Bogenhausen wird ein inklusiver Sozialraum geplant. Dabei fällt auf, dass selbst in der Landeshauptstadt kein flächendeckendes inklusives Schulangebot vorhanden ist.
Mangel an allen Ecken und Enden
Süddeutsche Zeitung
Camouflage
Ebenfalls in München, im Bezirk Freiham, investiert die Stadt in einen barrierefreien Bildungscampus. Zwar ist innen alles sauber getrennt in Grundschule, Realschule, Gymnasium und Förderschule. Aber inklusiv ist es trotzdem – irgendwie, also zumindest die Fassade: Man kann von außen nicht unterscheiden zwischen Förderschule und Gymnasium.
Bildungscampus Freiham von schürmann dettinger architekten
Architektur Zeitung
Diskriminierung
Wer auf den Förderschulen ausschließlich Schülerinnen* mit Behinderung vermutet, sollte genauer hinschauen. Für Kinder aus der Minderheit der Sinti und Roma ist sie bis heute die häufigste Schulform:
„Man hat mir etwas genommen“
Schwäbisches Tageblatt
Zwang
Dass Jugendämter Eltern das Sorgerecht entziehen lassen, wenn sie für ihre Kinder eine Sonderschule verweigern, wird inzwischen häufiger bekannt. Ein Fall aus dem vergangenen Jahr wird nun auch in Österreich thematisiert:
Deutschland: Wie der Sonderschulbesuch erzwungen wird
bizeps
Veranstaltungen I
Zum dritten Mal findet im März ein umfangreicher Online-Inklusionskongress statt. Anmeldung zur kostenlosen Teilnahme und eine Vorschau auf´s Programm finden Sie hier:
Vom 12. bis zum 18. März 2021 findet der 3. Online-Inklusionskongress statt – melde Dich jetzt schon an und bleib‘ informiert!
inklusionskongress
Veranstaltungen II
Die Pädagogische Hochschule Ludwigsburg lädt zur Online-Tagung ein, zum Thema „Eltern stärken – Recht auf inklusive Bildung“. Die Tagung ist – auch – ein Geburtstagsgeschenk zum 80sten für Deutschlands Inklusions-Pionierin Prof. Jutta Schöler.
Onlinekonferenz:
"Eltern stärken - Recht auf Inklusive Bildung"
PH Ludwigsburg
Vorgeburtlicher Bluttest auf Trisomien
Wollen wir ein vorgeburtliches Screening von Kindern mit Trisomien? Ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis fordert den Gemeinsamen Bundesausschuss auf, die Kassenzulassung der NIPT zu stoppen. Den Offenen Brief kann man auch jetzt noch mitzeichnen:
Bluttest auf Trisomien: Hohe Fehlerquote, schwammige Indikation – Bündnis fordert GBA auf, die Kassenzulassung zu stoppen.
mittendrin e.V.
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