Inklusions-Pegel - Der Newsletter zu inklusiver Bildung in Deutschland

Inklusions-Pegel Januar 2020

Ausgabe Nr. 1

Jetzt geht es endlich weiter, liebe Leute!

Sie wollten informiert werden, wenn es ein Folgeprojekt unserer Kampagne zum Film DIE KINDER DER UTOPIE gibt. Nun ist es soweit: Ab sofort informiert Sie unser INKLUSIONS-PEGEL jeden Monat, was in Deutschland rund um die Umsetzung von Artikel 24 — inklusive Bildung — der UN-Behindertenrechtskonvention passiert. Dabei versuchen wir einerseits, die Bundesländer und Kommunen als Akteure der Schulpolitik im Blick zu behalten, und andererseits, die Nachrichten nach bundesweiter Relevanz zu filtern.

Das gefällt Ihnen? Dann empfehlen Sie uns am besten direkt weiter.

Ihr mittendrin e.V.

Kommentar: Die Eule spricht

Müssen wir uns Sorgen machen um Berlin und seine Bevölkerung? In der Hauptstadt steigt unaufhörlich die Zahl der Kinder mit geistiger Behinderung. Die Zunahme ist immens: Bei den Kindern und Jugendlichen im Schulalter um mehr als 50 Prozent in den vergangenen zehn Jahren, von gut 2.500 auf mehr als 4.000 (nach den Zahlen der Bertelsmann Stiftung).

Angesichts solcher Zahlen sollte sich der Senat der Stadt langsam ernsthafte Sorgen machen, um die Zukunft, den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort, um die Bevölkerung. Er sollte einen Krisenstab einsetzen, nach unentdeckten Chemie-Unfällen fahnden, sämtliche Daten des Gesundheitswesens checken, die Wissenschaft um Rat fragen.

Stattdessen: Business as usual. Die Bildungssenatorin gibt Anweisung, die Sonderschulen zu erweitern (dazu weitere Artikel s.u.). Ansonsten Achselzucken und halbgare Vermutungen. Irgendwie sind ja insgesamt die Schülerzahlen gestiegen (um zehn Prozent, nicht um 50!). Und irgendwie gibt es heutzutage ja mehr extrem früh geborene Kinder (immer noch deutlich unter 0,5 Prozent!).

Offenbar will man den Gründen für die stark ansteigende Zahl der Kinder mit dem Stempel „geistig behindert“ nicht ernsthaft auf den Grund gehen. Schon gar nicht will man die naheliegendste Erklärung ins Auge fassen: Dass den sonderpädagogischen Diagnosen nicht zu trauen ist. Ob einem Schulkind ein sonderpädagogischer Förderbedarf attestiert wird und in welchem Förderschwerpunkt, ist nicht Ergebnis einer wissenschaftlich abgesicherten Messung, sondern eine Gutachterentscheidung, mit all ihren typischen Unsicherheiten.

Der Trend, bei Lernschwierigkeiten schneller den Förderbedarf „geistige Entwicklung“ zu bescheinigen, ist bundesweit – wenn auch in Berlin besonders stark ausgeprägt. Deshalb ist es längst an der Zeit, dem Mythos der Unfehlbarkeit sonderpädagogischer Diagnosen abzuschwören. Das Phlegma der politisch Verantwortlichen in dieser Angelegenheit ist unbegreiflich.

Jedes einzelne dieser Kinder verliert die Möglichkeit, einen Schulabschluss zu erreichen und wird fortan auf dürftigsten Lernstoff zurückgeworfen. Nicht mehr Unterrichtsstunden im Lesen, Schreiben und Rechnen, sondern weniger, von Fremdsprachen gar nicht zu reden.

Alle diese sonderpädagogischen Gutachten werden in Berlin von Bediensteten der Bildungssenatorin erstellt. Es ist an ihr, die Entwicklung zu überprüfen und den Rahmen zu setzen. Tut sie dies nicht, gehen die ruinierten Bildungslaufbahnen und Lebenschancen von tausenden Kindern auf ihre Rechnung.

Die Themen im Januar

Bonn

Zu den interessantesten Meldungen über Inklusion können auch solche zählen, in denen von Inklusion gar nicht die Rede ist. So wie im ausführlichen Interview mit der neuen Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Stefanie Hubig. Da geht es um die großen Fragen des Bildungssystems. Die Inklusion zählt offenbar nicht dazu.

KMK-Präsidentin über das Bildungssystem: „Wir brauchen mehr Gemeinsamkeit“

Interview mit Stefanie Hubig / taz / 15.01.2020

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Eine Schülerin stützt ihren Kopf in die Hand, auf dem Tisch vor ihr sind ihre Prüfungsunterlagen und eine Flasche Wasser


Berlin

Beim Aufbau der Inklusion an den Schulen wähnt Berlin sich in der Spitzengruppe. Dass jetzt ein immenser Ausbau der Förderschulen Geistige Entwicklung geplant wird, sieht die Senatorin nicht als Widerspruch:

Berlin bekommt 800 zusätzliche Plätze für Schüler mit geistigen Behinderungen

Margarethe Gallersdörfer / Berliner Zeitung / 09.01.2020

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Portrait von Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) 


Der Aktivist Raúl Krauthausen sieht im Berliner Förderschul-Ausbauprogramm keine bürgernahe Politik, sondern schlicht das Versagen der Schulpolitik des Senats:

Warum die Berliner Schulpolitik mal wieder ins Abseits steuert

Raúl Krauthausen / raul.de / 13.01.2020

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Bild von inklusiver Klasse 


Auch bei betroffenen Eltern kommen die Pläne der Bildungssenatorin nicht gut an. „Wir nehmen das nicht länger hin“, protestiert ein großer Berliner Elternverein:

Ausbau der Förderzentren in Berlin

Eltern beraten Eltern e.V. / eltern-beraten-eltern.de / 16.01.2020

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Bunte Holzbuchstaben


… und hier der Verein in einem Hörfunkbeitrag des Deutschlandfunks:

Inklusion gescheitert? – Berlin will wieder Förderschulen schaffen

Campus & Karriere / Deutschlandfunk / 24.01.2020

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… und ebenso beurteilt die Lebenshilfe Berlin den geplanten Ausbau der Förderschulen als Fehler:

Inklusion in der Sackgasse?

Lebenshilfe Berlin / lebenshilfe-berlin.de / 22.01.2020

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Kinder einer Integrationsklasse


…und hat dagegen eine Petition gestartet:

Inklusiven Unterricht stärken – Ausbau der Förderzentren für geistige Entwicklung stoppen

Lebenshilfe Berlin / change.org / 29.01.2020

Zur Petition

Drei lachende Kinder


Bonn

Der ehemalige Bundes-Behindertenbeauftragte Hubert Hüppe (CDU) ist unlängst in den Expertenkreis Inklusive Bildung der Deutschen UNESCO-Kommission berufen worden. Jetzt äußert er sich bei kobinet über die Renaissance der Sonderschulen:

Sonderstrukturen haben sich wieder durchgesetzt

Ottmar Miles-Paul / kobinet / 26.01.2020

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Portrait Hubert Hüpp


Bayern

In bayerischen Medien wird diskutiert, ob Eltern von behinderten Kindern sich im Streit mit Schulen mäßigen sollten. Dieser Bericht stellt Zusammenhänge dar und zeigt auf, warum gerade in Bayern der Ärger so groß und die Konflikte so hart sind:

Ein körperbehinderter Junge darf nicht zur Schulfeier – zurecht, sagt das Schulamt! Wie Bayern bei der Inklusion hinterherhinkt

Agentur für Bildungsjournalismus / News4Teachers / 18.01.2020

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Schild mit durchgestrichenem Rollstuhl und Schriftzug "Wir müssen draußen bleiben".


Kiel

Immer wieder hört man von Jugendämtern, die Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung einleiten, um eine Sonderbeschulung durchzusetzen. Wie passt das zum Recht auf inklusive Bildung?

Kampf ums Sorgerecht

Kaija Kutter / taz / 25.01.2020

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