Inklusions-Pegel Januar 2022
Neues zum Thema Inklusive Bildung, liebe Leute!
Heute erhalten Sie eine neue Ausgabe unseres Newsletters INKLUSIONS-PEGEL, dem Folgeprojekt unserer Kampagne zum Film DIE KINDER DER UTOPIE. Hier berichten wir jeden Monat, was in Deutschland rund um die Umsetzung von Artikel 24 — inklusive Bildung — der UN-Behindertenrechtskonvention passiert. Dabei versuchen wir einerseits, die Bundesländer und Kommunen als Akteure der Schulpolitik im Blick zu behalten, und andererseits, die Nachrichten nach bundesweiter Relevanz zu filtern.
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Ihr mittendrin e.V.
In diesem Monat hat eine Förderschule für Kinder mit geistiger Behinderung öffentliche Aufmerksamkeit erregt, und zwar wegen der pädagogischen Methoden der Schulleiterin. Sie hatte einen Schüler wegen seines schwierigen Verhaltens auf dem kalten Schulhof in eine Holzkiste gesperrt und sich daraufgesetzt, mindestens zwanzig Minuten lang. Umstehende Lehrerinnen* hatten nicht eingegriffen.
Der Vorfall wurde bekannt, weil eine Mitschülerin völlig entsetzt zum Handy griff und sofort ihre Mutter mit einer Sprachnachricht informierte. Diese alarmierte die Eltern des betroffenen Jungen, die daraufhin zur Schule eilten und ihren Sohn noch in der Kiste vorfanden.
Die Berichte über die schwarze Pädagogik der Schulleiterin sollten viele Fragen auslösen: Kann man diese Zustände verallgemeinern? Sicher nicht. War das ein absolut einzigartiger Einzelfall? Sicher auch nicht. Auch für Wohn- und Tageseinrichtungen hat man lange ausgeschlossen, dass die Menschen mit Behinderung dort abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit in realistischer Gefahr sind, schlecht behandelt zu werden. Erst die Reportagen von Günter Wallraff haben Illusionen einer heilen Welt in den Einrichtungen zerstört. Der Bericht einer Expertenkommission zu Gewaltschutz in Einrichtungen in NRW bestätigt die Gefährdung. Sie droht immer und überall dort, wo Menschen, die ihre Rechte nur schwer selbst vertreten können, in Strukturen abseits der Öffentlichkeit betreut werden.
Im vorliegenden Fall aber gab es Öffentlichkeit. Es gab die Mitschülerin, die die Situation richtig einschätzte und Hilfe holte. In einem Videobericht ist diese Schülerin zu sehen, wie sie noch einmal Auskunft gibt. Was zur nächsten Frage führt: Wie kann es sein, dass diese sozial und kommunikativ kompetente Jugendliche Schülerin einer Schule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung ist?
Die Themen im Januar
Schwarze Pädagogik
Förderschulen werden oft als Schutzraum für Kinder mit Behinderung bezeichnet und Sonderpädagoginnen* gelten als Expertinnen* auch für Kinder mit schwierigem Verhalten. Mehrere Presseberichte und dieses Video einer Kinderschutzorganisation über eine Schule in Sachsen-Anhalt zeigen, dass sich das als Wunschvorstellung entpuppen kann:
Fall Max (9 Jahre) Missbrauch an Förderschule Jessen / Sachsen-Anhalt
Wir kämpfen für Kinder
Inflation
Die Zahl der Schülerinnen* mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung steigt und steigt seit Jahren. Jetzt greift der Spiegel das Thema auf:
Studien zu Inklusion: Schwierige Schüler werden offenbar vermehrt als »geistig behindert« etikettiert
Spiegel
Lehrermangel
Oft wird gefragt, warum Verwaltung und Politik den aktuellen Lehrerinnen*mangel nicht vorausgesehen und Maßnahmen ergriffen haben. Jetzt hat der Bildungsforscher Klaus Klemm errechnet, dass die Kultusministerinnen*konferenz in ihren Planungen für die kommenden Jahre immer noch grob und dramatisch falsch kalkuliert.
Lehrermangel an Schulen: Bildungsforscher hält Berechnungen der Kultusminister teilweise für »unseriös«
Spiegel
Zeugnisse
Mit einer kreativen Theater-Protestaktion hat die GEW Schleswig-Holstein dagegen protestiert, dass Schülerinnen* mit sonderpädagogischem Förderbedarf völlig andere Zeugnisse bekommen als ihre Mitschülerinnen*. Dies sei diskriminierend, stellen die Lehrerinnen* fest, und außerdem mache es zu viel Arbeit. Spannend wäre die Diskussion, wie pädagogisch sinnvolle und diskriminierungsfreie Zeugnisse für alle Schülerinnen* aussehen könnten. Diese Diskussion muss noch geführt werden.
Protesttheater vor Bildungsministerium – GEW für Zeugnisse ohne Diskriminierung
GEW Schleswig-Holstein
Exklusion
Schon im Dezember berichteten die Medien über eine Studie, nach der Rheinland-Pfalz die soziale Segregation an Schulen verschlimmere, weil das Land Inklusion nur an Schwerpunktschulen umsetze und diese vorwiegend an Schulen in sozialen Brennpunkten ansiedele. Die FAZ greift das noch einmal auf und stellt Fragen. Sie fragt nicht danach, ob in sozialen Brennpunkten tatsächlich mehr Kinder mit Behinderung geboren werden. Sie sorgt sich um eine elterliche Wahlfreiheit für eine nicht-inklusive Schule…
Wo Inklusion zur Selbst-Exklusion führt
FAZ
Politikwechsel
Das Bildungsministerium in Mecklenburg-Vorpommern wird neuerdings von einer Politikerin aus der Partei Die Linke geleitet. Gemessen an den Parteiprogrammen, müsste es jetzt zu einem Politikwechsel bei der inklusiven Bildung kommen.
Oldenburg betont Bedeutung der Schulen für Bildungserfolg
ntv
Politik
Das niedersächsische Landesregierung aus SPD und CDU will die Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen auslaufen lassen. Die Kommunalpolitiker der CDU arbeiten vielerorts wie hier in Peine dagegen:
Darum kämpfen CDU und FDP für den Erhalt der Pestalozzi-Förderschule in Peine
Peiner Allgemeine
Zukunftsplanung
Der nordrhein-westfälische Landschaftsverband Rheinland hat 15 Millionen Euro freigegeben, um seine Oberhausener Förderschule für körperlich behinderte Schülerinnen* erheblich zu erweitern. Begründet wird dies mit eigenen Prognosen, nach denen die Schülerinnen*zahlen auch in Zukunft weiter erheblich steigen werden. Anders ausgedrückt: Der Landschaftsverband geht davon aus, dass die inklusive Entwicklung im Land nicht voranschreiten wird.
15 Millionen für Erweiterung der Schlingensief-Schule
WAZ
Sprachunterricht
Die Kultusministerinnen*konferenz hat empfohlen, die Deutsche Gebärdensprache als Schulfach zu unterrichten. Ob und wie dies umgesetzt wird, bleibt abzuwarten:
Kultusminister: Deutsche Gebärdensprache an allen Schulen
BR
Kommune
Die Stadt Falkensee will die Inklusion ausbauen und Kinder aller Förderschwerpunkte an den Grundschulen und weiterführenden Schulen der Stadt aufnehmen. Das hat der Rat im vergangenen Jahr beschlossen. Eine Abfrage des Bürgermeisters bei den Schulen hat nun die Stimmung gedämpft. Dort überwiegen die Bedenken und die Hinweise, dass man schon viel getan habe, um einzelne Schülerinnen* mit Behinderung aufzunehmen. Der grünen Ratsfrau Martina Freisinger reicht das nicht: „Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder hier beschult werden können, ohne dass sie sich lange Gedanken machen müssen, ob es geht.“
Bildungsausschuss Falkensee: Debatte um inklusive Beschulung
Märkische Allgemeine
Zum Artikel (Paywall)
Schule
Die inklusive Dresdener Universitätsschule kann ihr Bildungsangebot ausbauen. Aus der getrennten Grund- und Oberschule wird eine Gemeinschaftsschule, durchgehend von Klasse 1 bis Klasse 12. Diese Schulform ist in Sachsen erst im vergangenen Jahr eingeführt worden.
Länger gemeinsam lernen: Universitätsschule Dresden wird Gemeinschaftsschule
Die Sachsen
Elternwahlrecht
Das sogenannte „Elternwahlrecht“ ist eine beliebte Formel von Schulpolitikerinnen*, um mangelnde Fortschritte bei der inklusiven Bildung zu relativieren. Eltern seien doch längst frei, für ihr Kind ganz nach Wunsch zwischen Förderschule und Inklusion zu wählen. Wie weit diese Politikerinnen*-Vorstellung von der Realität entfernt ist, zeigt dieser ganz normale Einzelfall:
Eine Mutter in Hagen, ihr behinderter Sohn und die Inklusion
Westfalenpost
NoNIPT #1
Ein NDR-Religions-Podcast beschäftigt sich gründlich mit der Kassenfinanzierung der vorgeburtlichen Bluttests auf Trisomien. Infos zur Sendung und den Link zum
Nachhören finden Sie hier:
Trisomie-Bluttest bald Kassenleistung: Mehr Schwangerschaftsabbrüche?
NDR vertikal horizontal
NoNIPT #2
Nun will sich auch der Ethikrat mit der Kassenfinanzierung der Tests beschäftigen und hat für den 23. Februar eine Diskussionsveranstaltung angesetzt. Die Veranstaltung ist online und öffentlich, das Publikum kann im Chat mitdiskutieren:
Wissens-Wert? Zum verantwortlichen Umgang mit nichtinvasiven Pränataltests (NIPT)
Deutscher Ethikrat
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