Inklusions-Pegel Juni 2021
Neues zum Thema Inklusive Bildung, liebe Leute!
Heute erhalten Sie eine neue Ausgabe unseres Newsletters INKLUSIONS-PEGEL, dem Folgeprojekt unserer Kampagne zum Film DIE KINDER DER UTOPIE. Hier berichten wir jeden Monat, was in Deutschland rund um die Umsetzung von Artikel 24 — inklusive Bildung — der UN-Behindertenrechtskonvention passiert. Dabei versuchen wir einerseits, die Bundesländer und Kommunen als Akteure der Schulpolitik im Blick zu behalten, und andererseits, die Nachrichten nach bundesweiter Relevanz zu filtern.
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Ihr mittendrin e.V.
Wer hätte gedacht, dass so eine Fußball-Europameisterschaft der Männer – über den Fußball an sich und die jeweiligen Nationaltrikots hinaus – so viel Gemeinschaftsstiftendes hervorbringt? Regenbögen allerorten, und es scheint, als ob sich gerade der größere Teil Europas im gemeinsamen Engagement für Vielfalt und Diversity zusammenfindet. Nicht nur Schauspielerinnen* und Aktivistinnen*, auch konservative Politikerinnen*, ganze Fußballteams und sogar Städte und Stadionbetreiber stellen sich demonstrativ an die Seite von Minderheiten, die wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden.
Vielleicht ist die Bewegung auch deshalb so breit, weil es Spaß macht, die mächtige UEFA bei ihren Imageworten zu nehmen und ein wenig vorzuführen. Vielleicht sind so viele dabei, weil es ja auch nichts kostet, das Social-Media-Profilbild mit Regenbogenfarben zu schmücken.
In der Realität mag für die diskriminierte Queer-Community noch nicht viel gewonnen zu sein, wenn alle Medien Leon Goretzkas herzige Provokation des ungarischen Testosteron-Fanblocks bejubeln. Aber das Gefühl muss für die Betroffenen überwältigend sein.
Und jetzt stellen Sie sich einmal vor, diese umwerfende Solidarität gälte nicht nur der Einbeziehung der LGBTQ-Community, sondern auch der Inklusion der Menschen mit Behinderung. Tobias Hans lädt alle Kinder mit Behinderung ein, die wohnortnahe Schule zu besuchen, auch wenn seine Partei das bisher nicht so vorangetrieben habe. Die Stadt München erleuchtet den Marienplatz mit Lichtinstallationen zur UN-Behindertenrechtskonvention. Woraufhin Oberhausen mit der Ausleuchtung des Gasometers nachzieht und Dresden mit der Frauenkirche. Jogi Löw reckt die Faust für Barrierefreiheit und Robin Gosens lupft nach einem erfolgreichen Torschuss das Trikot, um sein Bekenntnis zur inklusiven Bildung auf dem Funktionsunterhemd zu präsentieren.
Das können Sie sich nicht vorstellen?
Es wäre doch so schön.
Die Themen im Juni
Weckruf
Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, beobachtet bei der Umsetzung der inklusiven Bildung in Deutschland ein wesentliches Missverständnis; nämlich dass es eine Frage der politischen Debatte sei, in welchem Ausmaß inklusive Bildung zur Realität wird. „Es geht um die Grundwerte unserer Gesellschaft“, sagt Dusel, und da müsse der Staat dafür sorgen, dass das Recht nicht nur im Gesetz steht, sondern bei den Menschen ankommt. 57 hörenswerte Minuten im Schul-Podcast des Redaktionsnetzwerks Deutschland:
Wie funktioniert Inklusion am besten?
Podcast „Die Schulstunde“
Pandemie 1
Ist es ein Naturgesetz, dass das Recht auf Bildung und Teilhabe von Schülerinnen* mit Behinderung in einer Pandemie noch stärker unter die Räder kommt als das aller anderen? Der Bildungsklick veröffentlicht wissenschaftlicher Beobachtungen aus Italien:
Inklusiv trotz Pandemie
bilungsklick
Pandemie 2
Mit Unterstützung des Bundes legen derzeit alle Bundesländer Programme auf, in deren Rahmen Schülerinnen* geholfen werden soll, die Folgen der Pandemie zu bewältigen. Da muss mehr passieren, als verpassten „Stoff“ nachzuholen, sagt der Bremer Professor für Inklusive Pädagogik Frank Müller:
Bremer Forscher: Kinder müssen wieder lernen, gemeinsam zu lernen
buten un binnen
Wahlkampf 1
Die Bundesschülerinnen*vertretung hat ihre Wahlprüfsteine für die Bundestagswahl veröffentlicht und legen darin den Schwerpunkt auf Bildungsgerechtigkeit und Solidarität: Der Bund soll Verantwortung übernehmen für Barrierefreiheit als Grundlage für Inklusion – und für die Schulsozialarbeit.
Schüler fordern zehn Milliarden Euro
Spiegel
Wahlkampf 2
Das Berliner Bündnis „Schule muss anders“ entfaltet spürbaren Druck auf den Senat, die Situation für die Schulen in der Hauptstadt grundlegend zu verbessern – auch im Sinne der Inklusion. Hier ein Interview mit einem der Aktivistinnen*:
Kreuzberger Ex-Lehrer: Gute Schule braucht Zeit
Berliner Zeitung
Wahlkampf 3
Mecklenburg-Vorpommern ist unter den deutschen Bundesländern bisher nicht durch besondere Aktivitäten für schulische Inklusion aufgefallen. Im politischen Prozess fällt so etwas irgendwann auf, etwa beim Tag der Menschen mit Behinderung im Schweriner Landtag. Selbsthilfe- und Behindertenverbände präsentierten einen umfangreichen Forderungskatalog:
Schwesig: Umsetzung der Inklusion "noch eine Menge Arbeit"
Zeit
Dazu passt…
… dass Ministerpräsidentin Manuela Schwesig sich für gute Nachrichten zur inklusiven Bildung noch weitgehend auf Privatschulinitiativen verlassen muss. Ein geplanter inklusiver Bildungscampus in Stralsund ist so begehrt, dass die Anmeldelisten schon ein Jahr vor dem Start geschlossen werden müssen:
Zur Website des Bildungscampus
Wahlkampf 4
Die Linke setzt im Bundestagswahlkampf darauf, dass die Erfahrungen der Pandemie eine übergreifende Bildungsdebatte auslösen. Die Co-Parteivorsitzende Janine Wissler veröffentlicht ein Thesenpapier in der ZEIT:
Nach der Pandemie braucht es eine Bildungsrevolution
Zeit
Internationale
Die Bildungs- und Arbeitsminister der G 20 – der 20 größten Industrienationen – haben auf dem Gipfeltreffen im sizilianischen Catania Initiativen angekündigt, mit denen inklusive Bildung garantiert werden soll. Näheres ist noch nicht bekannt.
Industriestaaten wollen mehr Frauenbeschäftigung – treffen aber keine konkreten Beschlüsse
Handelsblatt
Übergang Schule-Beruf
Welche Bedeutung hat die Schulform für das Leben „danach“? Eine wissenschaftliche Studie belegt, dass das Förderversprechen der Förderschule Lernen nicht trägt:
Sonderbeschulung schadet Ausbildungs- und Teilhabechancen
bildungsklick
Gute Schule 1
Das Modell der Primusschulen in Nordrhein-Westfalen folgt dem Gedanken, dass pädagogische Kontinuität für die Schülerinnen* besser ist als der übliche Bruch nach der Grundschule. Das sind offenbar auch gute Voraussetzungen für Inklusion, wie hier im Sauerland:
Inklusion an der Primusschule: Unterstützung für 63 Schüler
come-on
Gute Schule 2
In den hessischen Modellregionen haben einige Förderzentren ihre Rolle für die inklusive Bildung so ernst genommen, dass sie nun alle ihre Schülerinnen* in den allgemeinen Schulen unterstützen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Armin Häuser ist begeistert von diesem Erfolg:
»Niemanden zurücklassen«
Wetterauer Zeitung
Kommunen 1
Der Schulausschuss des Bielefelder Rates diskutiert über den Ausbau der inklusiven Schullandschaft in der Stadt. In jedem Stadtteil soll es Grundschulen des Gemeinsamen Lernens geben und dazu ist ein kompletter inklusiver Schulcampus in Planung.
Rot-rot-grün will neuen integrativen und inklusiven Bildungscampus
radiobielefeld
Kommunen 2
Die Stadtverwaltung von Kirchheim-Teck setzt auf Beteiligung und hat Bürger, Fachleute und Politiker zu einem Online-Workshop zur Inklusion in KiTa, Schule und Erwachsenenbildung eingeladen. Auch Schülerinnen* sind ausdrücklich eingeladen.
Inklusion in Kirchheim kommt auf den Prüfstand
Der teckbote
Kommunen 3
In Potsdam wird schon lange über den neuen Schulentwicklungsplan debattiert. Ein stetiger Streitpunkt ist die Rolle der Gymnasien. Einigkeit herrscht dagegen bei der Inklusion. Die Stadt will eine Übersicht erstellen, was zu tun ist, um alle Schulen der Stadt barrierefrei zu machen. Auch sollen zumindest die Gesamtschulen in Zukunft alle inklusiv arbeiten.
Stadtpolitik billigt Potsdams Schulpläne
Potsdamer Neueste Nachrichten
Kommunen 4
Nordkirchens Gesamtschule wird inklusiv – nach jahrelanger Verzögerung. Der Schulleiter ebenso wie die Politiker der nordrhein-westfälischen Stadt hatten befürchtet, dass die Schule zu viele Schülerinnen* mit Behinderung aus dem in Sachen Inklusion unterversorgten Umland aufnehmen muss und dadurch zu wenig Schulplätze für Nordkirchener Jugendliche übrig blieben. Nun gibt es eine Zusicherung der Schulaufsicht, auch Schülerinnen* mit Behinderung in der eigenen Kommune zu beschulen, um einen Ansturm auf die Gesamtschule Nordkirchen zu verhindern.
Ein klares „Ja“ zur Inklusion – aber nicht für den gesamten Südkreis
Halterner Zeitung
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Kommunen 5
Zwei Jahre lang hat das niedersächsische Rinteln in der Grundschule Süd Klassenassistentinnen* finanziert – um die Schulen für Inklusion zu stärken und mühsame Antragsprozeduren für Schulbegleiterinnen* zu vermeiden. Kinder, Lehrerinnen* und Eltern sind restlos überzeugt.
Einzigartig in Schaumburg: So wird Grundschülern in Rinteln die Inklusion erleichtert
Schaumburger Nachrichten
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Veränderungsschmerzen 1
Die Förderschulen Lernen im Landkreis Diepholz werden wegen zu geringer Schülerinnen*zahlen nach niedersächsischem Recht in den kommenden Jahren auslaufen. Kreiselternrat und Kreisschulausschuss schrecken zurück und wollen sich um eine Sonderregelung bemühen, um die Restschulen zu erhalten:
Fürsprache für Erhalt der Förderschule Lernen
Weser Kurier
Veränderungsschmerzen 2
Auch auf der Insel Rügen will der Kreistag bei der inklusiven Entwicklung eine Hintertür behalten. Hier soll eine komplett leere Sonderschule bestehen bleiben:
Klatsche für Landrat Kerth: Kreistag will leere Schule auf Rügen offen halten
Ostsee-Zeitung
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NIPT
Seit dem 5. Mai postet das Bündnis #NoNIPT im Zuge der Kampagne „Hört uns endlich zu – 100 Stimmen für #NoNIPT“ täglich Debattenbeiträge zur unmittelbar bevorstehenden Kassenfinanzierung des Bluttests auf Trisomien (NIPT). Die 50. Stimme zur Halbzeit der Kampagne ist die Kölner Schauspielerin Annette Frier: „Wer für Diversity und gegen Diskriminierung ist, kann die Kassenzulassung des Tests nicht gut finden.“
Hört uns endlich zu! – 100 Stimmen für #NoNIPT
#NoNIPT
Paternalismus
Auch nach 12 Jahren Inklusionsdebatte hat unsere Gesellschaft noch kein gleichberechtigtes Bild von einem Miteinander der Menschen mit und ohne Behinderung gefunden. Besonders deutlich wird die entfremdete und paternalistische Perspektive der Mehrheit auf Menschen mit Behinderung in der Debatte um die Morde im Potsdamer Oberlinhaus. Unwidersprochen dominieren Töne, die in keiner anderen Diskriminierungsdebatte mehr durchgehen würden. Raúl Krauthausen kann´s nicht mehr hören. Wir auch nicht:
"Behinderte brauchen keine Beschützer, sondern gleiche Rechte!"
n-tv
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