Inklusions-Pegel Mai 2023
Neues zum Thema Inklusive Bildung, liebe Leute!
Heute erhalten Sie eine neue Ausgabe unseres Newsletters INKLUSIONS-PEGEL, dem Folgeprojekt unserer Kampagne zum Film DIE KINDER DER UTOPIE. Hier berichten wir jeden Monat, was in Deutschland rund um die Umsetzung von Artikel 24 — inklusive Bildung — der UN-Behindertenrechtskonvention passiert. Dabei versuchen wir einerseits, die Bundesländer und Kommunen als Akteure der Schulpolitik im Blick zu behalten, und andererseits, die Nachrichten nach bundesweiter Relevanz zu filtern.
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Ihr mittendrin e.V.
Kennen Sie Campus-Modelle? Sollten Sie aber kennen – allein deshalb, weil darüber z.B. im Flurfunk des nordrhein-westfälischen Schulsystems zunehmend gesprochen wird. Der Begriff Campus-Modell steht dafür, mehrere Schulen in einem gemeinsamen Gebäudekomplex unterzubringen, oder auf einem gemeinsamen Gelände. Leidgeprüfte Inklusionsbefürworterinnen* ahnen vermutlich schon, was dahintersteht: Weil große Fortschritte bei der inklusiven Bildung in NRW zur Zeit nicht geplant sind, wird nach Möglichkeiten gesucht, wenigstens irgendetwas irgendwie für Inklusion zu tun – oder zumindest den Anschein davon zu erwecken.
Nun soll es uns also als Fortschritt verkauft werden, wenn Förderschulen direkt neben allgemeine Schulen gebaut werden und sich womöglich sogar den Schulhof, die Mensa und die Sporthalle teilen. Da würden doch Begegnungen entstehen zwischen Schülerinnen* mit und ohne Behinderung, heißt es, sicherlich sogar Freundschaften. Und die Schulen könnten miteinander kooperieren, vielleicht zunächst in Musik- und Sportprojekten, so dass die Inklusion sich informell und natürlich von unten entwickele. Das Campus-Modell als Möglichkeitsraum. Denn natürlich finden alle Akteure des Schulsystems Inklusion gut, solange man sie freiwillig betreiben - oder auch lassen kann.
Was bei solchen Ideen vergessen wird, ist die Perspektive der Schülerinnen*. Wenn Inklusion für Lehrende freiwillig ist, dann ist sie für Schülerinnen* kein Recht mehr, sondern ein Gnadenakt. Campus-Schulen bieten den Rahmen dafür. Wer sich auf der Förderschule durch Leistung hervortut, darf (vielleicht auch erstmal zur Hospitation) am Unterricht der allgemeinen Schulen teilnehmen. Wenn das den Lehrenden zu mühsam wird, ist der Weg zurück zur Förderschule ja nicht weit… Die Teilhabe bleibt prekär, und durch die räumliche Nähe deren Abbruch immer in Sicht. Mit einer menschenrechtsbasierten inklusiven Entwicklung hat das gar nichts zu tun.
Die Themen im Mai
Protesttag
Alljährlich am 5. Mai wimmelt es in den Medien an Beiträgen, die sich mit der Forderung nach Gleichstellung von Menschen mit Behinderung beschäftigen – oder einfach nur mit Menschen mit Behinderung. Wir haben für den Inklusions-Pegel nur einen Beitrag ausgesucht. Ein unterhaltsames Video der LAG Gemeinsam leben – gemeinsam lernen e.V. aus Baden-Württemberg setzt sehr treffend ins Bild, wie Deutschland mit der UN-Behindertenrechtskonvention umgeht.
Europäischer Protesttag 2023
LAG – Gemeinsam leben – gemeinsam lernen e.V., Baden-Württemberg
Bund 1
Inklusionsforscherinnen* fordern den Bundestag auf, wegen der schleppenden Umsetzung des Rechts auf inklusive Bildung aktiv zu werden. Sie haben eine Petition gestartet mit dem Ziel, dass der Bundestag zum Thema eine Enquete-Kommission einrichtet:
Aktion für menschenrechtskonforme Umsetzung der UN-BRK
bildungsklick
Bund 2
Die Bildungsgewerkschaft GEW fordert einen Pakt für Inklusion an den Schulen und ebenfalls eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, um Wege zur Inklusion zu erarbeiten. „Es mangelt an Zielsetzungen, überprüfbaren Maßnahmen, politischer Steuerung, politischem Willen, konkreten Erkenntnissen und vor allem an Ressourcen für Inklusion. Das muss ein Ende haben, wenn wir uns international nicht weiterhin blamieren wollen“, sagt Vorstandsmitglied Anja Bensinger-Stolze:
GEW: „Wir brauchen einen Pakt für Inklusion!“
GEW
Bund 3
Vor 12 Jahren haben die Länder sich in der Föderalismusreform noch einmal bescheinigen lassen, dass der Bund sich aus der Schulpolitik heraushalten soll. Geld aus Berlin nimmt man inzwischen, etwa im Rahmen des Digitalpakts. Doch jetzt will Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger auch darauf achten, wie das Geld eingesetzt wird. Im geplante Förderprogramm für Brennpunktschulen sollen sich begünstigte Schulen im Gegenzug in ihrer Unterrichtsentwicklung wissenschaftlich evaluieren lassen. Interessant ist daran für uns: Wenn der Bund sein Geld jetzt mit Bedingungen verknüpft, warum soll er dann nicht auch für die inklusive Bildung einen Rahmen setzen können?
Startchancen mit hartem Sozialindex
ZEIT
Bilanz
Wie der Fortschritt der inklusiven Bildung in Länderhoheit bisher verlaufen ist, dafür findet Sebastian Steinmetz vom Leibniz-Institut im NDR deutliche Worte: Er sei irritiert, mit welcher Vehemenz in den meisten Bundesländern am System Förderschule festgehalten werde:
Bildungsforscher. Viel Luft nach oben bei Inklusion an Schulen
NDR
Bildung
Ein bemerkenswerter Beitrag bei ZDF frontal: Gezeigt wird, dass in Bayern das Recht auf Nachteilsausgleiche nicht gilt, dass Förderschulen weniger Wert auf Schulabschlüsse legen und dass Inklusion in mancher Gesamtschule ohne Aufregung einfach gut funktioniert.
Gescheiterte Inklusion an Schulen: Getrenntes statt gemeinsames Lernen
ZDF
Bildungstrend
Sind es die Kinder mit Behinderung, die zu den jüngsten schlechten Ergebnissen deutscher Grundschülerinnen* im IQB-Bildungstrend geführt haben? Die ehemalige Präsidentin der Kultusministerinnen*konferenz, Karin Prien, hatte so etwas angedeutet. Professor Phillip Neumann von der Uni Paderborn hat nachgeschaut und Erstaunliches gefunden: Die Kinder mit Förderbedarfen Lernen und Geistige Entwicklung sind bei den Auswertungen gar nicht berücksichtigt worden.
Studien zu Schulleistungen und ihre Aufbereitung
Uni Paderborn
Rheinland-Pfalz
Das Land Rheinland-Pfalz will den Stillstand bei der inklusiven Bildung überwinden. Nach dem Willen der Bildungsministerin sollen Kinder mit Lernschwierigkeiten demnächst grundsätzlich in der allgemeinen Schule am Wohnort eingeschult werden. Die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs soll erst nach einem Jahr erfolgen – und regelmäßig überprüft werden.
Bildungsministerin Hubig: „Inklusion ist ein Menschenrecht“ – das Schulsystem soll deshalb durchlässiger werden
news4teachers
Bremen
Auch das Land Bremen will mit einer neuen Verordnung zur Inklusion vorankommen. Der Entwurf sieht vor, dass sich künftig nicht mehr nur die Sonderpädagoginnen*, sondern alle Lehrenden und Pädagoginnen* in der Schule an der Förderplanung für Kinder mit Behinderung beteiligen sollen. Das stößt nicht nur auf Zustimmung:
Inklusion als Kernaufgabe für alle Lehrkräfte
Weser Kurier
Zum Artikel (Paywall)
Bayern 1
In Bayern eine inklusive Schule zu gestalten, ist ein kompliziertes Unterfangen. Doch es gibt Lehrerinnen* und Schulleiterinnen*, die offenbar das Beste aus den umständlichen Regelungen machen, unter dem Motto: Jammern hilft nicht, das überträgt sich nur auf die Kinder.
Julia Merget-Daum neue Rektorin der Grundschule Winzenhohl
Main-Echo
Bayern 2
Besonders leicht ist es dagegen ein Bayern, einfach mal zu behaupten, dass man Inklusion verwirkliche, ja sogar Meilensteine für Inklusion setze; während in Wahrheit Schülerinnen* mit und ohne Behinderung gerade einmal die Mensa gemeinsam nutzen sollen. Das ist dreist. Geradezu erschütternd ist aber, dass die Nürnberger Nachrichten diesen Etikettenschwindel unhinterfragt verbreiten.
Ein Meilenstein für Inklusion: Das neue SFZ Neumarkt wurde feierlich eröffnet
Nürnberger Nachrichten
Bayern 3
Das Bündnis Gemeinschaftsschule und die Lernwirkstatt Inklusion bieten am 24. Juni eine Fachtagung zur Reform des bayerischen Schulsystems an. Die Teilnahme ist auch online möglich:
Fachtagung: Bayern braucht die Gemeinschaftsschule
Bündnis Gemeinschaftsschule in Bayern
Universität
Keine akademische Disziplin trägt so konsequente ethische Maßstäbe vor sicher her wie die Medizin. Wer Medizin lehrt, sollte folglich keine Probleme haben, das Prinzip der Inklusion und das Postulat der Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu verstehen. Soweit die Theorie. In die Praxis an der Universität zu Köln scheint der Gedanke, dass Menschen mit Behinderung nicht nur Patient sondern auch Arzt sein können, noch nicht vorgedrungen. Die FAZ berichtet über die unglaubliche kafkaeske Geschichte eines Medizinstudenten, dem über sechs Jahre ihm zustehende Nachteilsausgleiche wegen seiner Epilepsie verweigert werden. Sie erzählt von Standesdünkel, Rassismus und abgrundtiefer Behindertenfeindlichkeit.
Eine Universität versagt bei der Inklusion
FAZ
Zum Artikel (Paywall)
Inklusionspreis
In Frankfurt ist erstmals der hessische Inklusionspreis verliehen worden. Ausgelobt wird er von der Gruppe Inklusionsbeobachtung, in der Elternbund Hessen, der Verein Gemeinsam leben, die Landesschüler:innenvertretung, Landesbehindertenrat, Landesausländerbeirat sowie die GEW Hessen vertreten sind:
Hessischer Inklusionspreis will gute Beispiele des gemeinsamen Lebens sichtbar machen
Frankfurter Rundschau
Medien
RTL und Vox werden sich im Juni in mehreren Sendeformaten mit den Themen Vielfalt und Inklusion beschäftigen. Angekündigt wird auch eine Fortsetzung der Dokumentation über Tim Mälzers Projekt im „Schwarzwälder Hirsch“.
„Zum Schwarzwälder Hirsch“-Fortsetzung und mehr: RTL Deutschland macht „Woche der Vielfalt“ zum Thema Inklusion
Fernsehserien
Kinderbücher
Gibt es Bücher, die schon kleinen Kindern einen vorurteilsfreien Blick auf Menschen mit Behinderung ermöglichen, statt das Klischee von den hilfebedürftigen Außenseitern zu verbreiten? Aus einer Kooperation der Fachstelle Kinderwelten und der Fachstelle Queerformat liegt jetzt eine Kinderbücher-Liste vor, die viele Dimensionen von Diversity im Blick hat:
Kinderbücher für eine vorurteilsbewusste und inklusive Bildung
queerformat
Spielzeug
Brauchen wir Barbie-Puppen im Rolli und mit Down-Syndrom? Wenn Unternehmen sich mit Produkten oder Werbung als Vorreiter von Vielfalt präsentieren, ist das in den Medien immer eine Story wert. Aber bringt das die Inklusion weiter? Hierzu ein Rant von Deutschlands ehemaligem Bundesbehindertenbeauftragen:
Es braucht nicht nur Barbie-Puppen mit Down-Syndrom
die Tagespost
Bewegung
Missstände im Schulsystem gibt es schon lange genug. Entsteht jetzt wieder eine breite Protestbewegung für Bildung? Ein Bündnis aus Berlin hat den 23. September zum Bildungsprotesttag ausgerufen und regt zu zeitgleichen Protesten in allen Bundesländern an. Am 6. Juni ist ein erstes Vernetzungstreffen geplant.
Bildungsprotesttag: 23.09.2023
Schule muss anders
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