Inklusions-Pegel - Der Newsletter zu inklusiver Bildung in Deutschland

Inklusions-Pegel November 2022

Neues zum Thema Inklusive Bildung, liebe Leute!

Heute erhalten Sie eine neue Ausgabe unseres Newsletters INKLUSIONS-PEGEL, dem Folgeprojekt unserer Kampagne zum Film DIE KINDER DER UTOPIE. Hier berichten wir jeden Monat, was in Deutschland rund um die Umsetzung von Artikel 24 — inklusive Bildung — der UN-Behindertenrechtskonvention passiert. Dabei versuchen wir einerseits, die Bundesländer und Kommunen als Akteure der Schulpolitik im Blick zu behalten, und andererseits, die Nachrichten nach bundesweiter Relevanz zu filtern.

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Ihr mittendrin e.V.

Kommentar: Die Eule spricht

Dezernenten-Sitzungen sind kein Spaß, vor allem nicht um 18 Uhr und wenn man selbst der Bürgermeister ist. Benedikt Müller muss hart kämpfen, um bei der Sache zu bleiben, während der Verkehrsdezernent langatmig die zweite Neuplanung für die Entschärfung der Verkehrslage auf der Bismarckstraße erläutert. Der nächste TOP gehört dem Schuldezernenten, mit einer umfänglichen Präsentation der Entwicklung der Schülerinnen*zahlen. Müller greift doch noch einmal zur Kaffeekanne und versucht sich zu konzentrieren.

Das nächste, was er hört, ist die etwas zu laute Stimme der Kämmerin Meral Akdeniz. „Dreißig Millionen Euro?“, fragt sie in einem Tonfall, der ihrer Frage mindestens fünf weitere Fragezeichen anfügt, und: „Noch eine Förderschule für sogenannte geistig Behinderte?“ Ihr Zeigefinger klopft ein Stakkato auf die Tischplatte. „Angesichts der steigenden Schülerinnen*zahlen sehen wir keine andere Möglichkeit“, entgegnet der Schuldezernent und zieht dabei den Rücken gerade.

Zu dünne Antwort auf die Frage einer Stadtkämmerin, denkt Müller noch und sieht aus dem Augenwinkel, wie Akdeniz ihre Unterlagen richtet. „Haben Sie uns nicht soeben erklärt, dass die stark steigenden Feststellungen von geistigen Behinderungen bei den Schülerinnen* Fragen aufwerfen? Und dass zu befürchten ist, dass eine ganze Reihe der Schülerinnen* unserer Förderschule dort vermutlich in der falschen Schulform sind?“ Die Kämmerin gibt dem Schuldezernenten keine Zeit für Entgegnungen. Sie zieht weitere Unterlagen aus der Aktentasche: das Protokoll der Haushaltsberatungen vom vergangenen Jahr.

„Die Einrichtung eines Schulbusverkehrs zu den Schulen des Gemeinsamen Lernens übersteigt mit geschätzten 200.000 Euro pro Jahr unsere finanziellen Möglichkeiten“, zitiert Meral Akdeniz aus der alten Vorlage des Schuldezernats, „und hier steht noch mehr: Infobroschüre zur inklusiven Bildung in unserer Stadt, 5.000 Euro, haben Sie aus dem Haushaltsvorschlag gestrichen. Unterstützung einer Elternberatung für Inklusion, 30.000 Euro pro Jahr: gestrichen. Fortbildung der städtischen Schulsozialarbeiter zur inklusiven Bildung, 10.000 Euro: gestrichen.“ Wieder klopft die Kämmerin mit dem Zeigefinger auf dem Tisch, dieses Mal im Rhythmus ihrer Worte: „War Ihnen alles zu teuer, haben Sie alles aus der Haushaltsvorlage gestrichen. Wollten Sie lieber für andere Projekte ausgeben“ Das Klopfen hört auf. „Und jetzt wollen Sie 30 Millionen von mir?“ 

Eine Weile ist es still in der Runde. Dann räuspert sich Müller. „Da besteht doch offenbar noch erheblicher Beratungsbedarf“, sagt er und leitet zum nächsten TOP über. Neben ihm schimpft die Kämmerin leise vor sich hin. „Sachgerechte Lösungen“, hört er aus dem Gemurmel heraus, „wenigstens mittelfristig denken…“, „kein ordentliches Verwaltungshandeln“ und, etwas lauter: „… sind hier die Stadtverwaltung und nicht irgendeine Pommesbude“.

Die Themen im November

Zahlen

Jedes Jahr legt die Stadt Köln ein akribisches statistisches Monitoring der inklusiven Entwicklung an den Schulen vor. Es sind sehr lesenswerte Ausarbeitungen, die unter wichtigen Fragestellungen den kalten Zahlenblick darauf richten, ob wir mit der schulischen Inklusion wirklich vorankommen oder ob wir uns etwas vormachen. Die aktuelle Ausgabe geht einen Schritt weiter und gibt eine Handlungsempfehlung für die Politik ab. Angesichts der weiter steigenden Zahlen von Schülerinnen* mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung behauptet der Bericht, dass es zum Bau von gleich zwei neuen zusätzlichen Förderschulen keine „echte Alternative“ gebe. Doch das ist noch nicht das letzte Wort. Der Kölner Expertenbeirat für inklusive Bildung hat jetzt den Auftrag angenommen, für die Stadt konkrete Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, wie die Förderschulen Geistige Entwicklung entlastet werden können und der Bau neuer Förderschulen überflüssig wird. Wir werden berichten.

Inklusionsentwicklung an Kölner Schulen

Stadt Köln

Zum Monitoring

Weiße Schrift auf blauem Balken: Inklusion an Kölner Schuen, Lernende mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf; Stand: SJ 2021/22


Belege

Dass beim Schülerinnen*zuwachs an den Förderschulen Geistige Entwicklung irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht, darauf machen Kritikerinnen* zunehmend aufmerksam. Noch spannender wird es, wenn die Förderschulen selbst bestätigen, dass sie recht viele Schülerinnen* beschulen, die dort nach den Regeln der Ausbildungsordnung falsch sind. Öffentlich (hinter Paywall) nachzulesen in diesem Artikel über die Dortmunder Max-Wittmann-Schule, in dem der Schulleiter selbst beschreibt, dass er viele rumänische und bulgarische Schülerinnen* hat, bei denen er nicht weiß, ob die beobachteten Lernschwierigkeiten nicht eher durch die Lebensumstände bedingt sind. Und dass diese Schülerinnen* weniger durch eine erkennbare geistige Behinderung als vor allem durch Schwierigkeiten im Bereich der Kulturtechniken auffielen. Ginge es nach Recht und Gesetz, müsste der Schulleiter den Förderbedarf dieser Schülerinnen* überprüfen und Schulwechsel einleiten. Stattdessen stellt der Sonderpädagoge öffentlich recht zweifelhafte und völlig fachfremde Mutmaßungen an, Zitat aus der Halterner Zeitung: „Einige Behinderungen sind auch genetisch bedingt. Da haben wir Eltern, die in einem nicht ganz klaren Verwandtschaftsverhältnis zueinanderstehen.“ Wie war noch der Fachbegriff für die klischeehafte und unterstellende Darstellung einzelner Bevölkerungsgruppen?

Sechs Jahre Umbau und trotzdem 70 Plätze zu wenig – Dortmunder Schulleiter kritisiert Stadt

Halterner Zeitung

Zum Artikel  (Paywall)

Mann mit grauem Bart und roter Jacke sitzt am Schreibtisch.


Bildung

Die private Web-Individualschule in Bochum hat sich für viele Schülerinnen* mit chronischen Krankheiten oder etwa mit Autismus zur letzten Option entwickelt, wenn der Besuch einer regulären Schule nicht möglich ist. Doch die zuständige Bezirksregierung in Arnsberg will keine Schulabschlüsse mehr an diejenigen Schülerinnen* der Schule vergeben, die ihren Wohnsitz in anderen Bundesländern haben. Das geht der Web-Schule an die Existenz.

Inklusion: Wie Menschen, die helfen wollen, behindert werden

Stadt-Land-Mama

Zum Artikel

Eine Gruppe von ca. 20 Menschen steht lachend vor einer Kletterwand.


Absichtserklärungen

In der Endphase des niedersächsischen Landtagswahlkampfs haben FDP und CDU versucht, sich wie einst in NRW 2017 mit einer Anti-Inklusions-Politik über die Ziellinie zu retten. Das hat dieses Mal nicht funktioniert. Die Niedersachsen wollten in ihrer Mehrheit keine Landesregierung, die das längst beschlossene Auslaufen der Förderschulen Lernen stoppt. Jetzt haben die Wahlsieger von SPD und Grünen ihren Koalitionsvertrag vorgelegt. Ab Seite 60 findet man zwar kein enthusiastisches Bekenntnis, aber eine Reihe von geplanten Maßnahmen zur inklusiven Entwicklung, die durchaus Potenzial bergen. Also, wenn sie wirksam umgesetzt werden: Geplant ist ein Grundsatzerlass zur Inklusion, eine systemische Ausstattung der Schulen, eine berufsbegleitende Qualifizierung Sonderpädagogik und eine Stärkung der Regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren, um inklusive Bildung in der Fläche zu unterstützen:

Sicher in Zeiten des Wandels – Koalitionsvertrag zwischen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen Niedersachsen

SPD Niedersachsen

Zum Koalitionsvertrag

Deckplatt des Koalitionsvertrags zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen Niedersachsen.


Schau mal an

Viele Menschen glauben immer noch, dass behinderte Kinder am besten lernen, wenn sie unter „Ihresgleichen“ im Förderschul-Unterricht sind. Vielleicht regt folgende Untersuchung zum Nachdenken an:

Geflüchtete Kinder aus Vorbereitungsklassen schneiden schlechter ab

Spiegel

Zum Artikel

Schriftzug »Willkommensklasse« auf einer Schultafel


Bewegung

Ohne die Elternbewegung für Inklusion wäre Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention folgenlos am deutschen Schulsystem vorbeigeweht. Die SZ stellt hier den Elternverein im bayerischen Dachau vor:

Kunterbunte Inklusion - Der Verein und seine Ziele

Süddeutsche Zeitung

Zum Artikel

Bild der Website www.kunterbunte-inklusion.de mit buntem Schriftzug als Logo und Silhouetten von Menschen, die sich an den Händen halten.


Erfolg

Auch im hessischen Bad Nauheim waren es Eltern, die die inklusive Entwicklung der Schulen vorangetrieben haben. Ein Bericht aus der Solgrabenschule:

Das gemeinsame Ziel lautet: In der Gemeinschaft wachsen

Frankfurter Neue Presse

Zum Artikel

Eine Frau und ein Mädchen sitzen gegenüber an einem Tisch und lernen zusammen.


Preis

Raùl Krauthausen ist mit dem „Bornheimer“ ausgezeichnet worden. Diese Auszeichnung vergibt die Europaschule im rheinischen Bornheim, eine Gesamtschule in inklusiver Entwicklung:

Den Finger in die Wunde gelegt

Rheinische Anzeigenblätter

Zum Artikel

Mehrere Erwachsene stehen auf einer Bühne. Im Vordergrund sitzt ein Mann in einem Rollstuhl.


Musik

Schon im Jahr 2014 hat sich der Verband deutscher Musikschulen mit der „Potsdamer Erklärung“ zur inklusiven Entwicklung aller Mitgliedshäuser bekannt. Jetzt wurden auf der  Fachtagung „Die Zukunft der Musikschulen ist inklusiv“ am 25. und 26. November 2022 in Potsdam Impulse und Beispiele präsentiert, wie die inklusive Entwicklung in Musikschulen verankert werden kann.

Musikschule im Wandel
Inklusion als Chance

Verband deutscher Musikschulen

Zur Potsdamer Erklärung

Bild von einem Dokument. Auf einem grauen Balken steht in schwarzer Schrift: Musikschulen im Wandel, Inklusion als Chance. Darüber steht: Potsdamer Erklärung, 16.Mai 2014


Kirche

Die Diakonie Deutschland ruft zur Verwirklichung der Inklusion auf. Besonders in den Gymnasien sieht die Vorständin für Sozialpolitik noch erhebliche Rückstände:

Inklusion – Gleiche Chancen für alle

swr

Zum Artikel

Eine Frau mit dunkler Brille und mittellangen Haaren lächelt selbstbewusst.


Uni

Der Behindertenverband ABID fordert, dass endlich bundesweit einheitliche und verbindliche Regeln zum Nachteilsausgleich für Studentinnen* mit Behinderung festgelegt werden.

ABID: Nachteilsausgleiche an den (Hoch-)Schulen müssen endlich verbindlich werden!

Gütsel online

Zum Artikel

Drei junge Menschen sitzen auf einer Treppe und unterhalten sich.


WfbM

Die Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern fordern konkrete Gesetze und die Verwirklichung eines inklusiven Arbeitsmarkts bis 2030. Das System der Werkstätten bezeichnen sie als „weitestgehend gescheitert“.

Inklusion: Beauftragte sehen Werkstätten für Menschen mit Behinderung als gescheitert an

News4Teachers

Zum Artikel

Mann mit Warnweste steht in einer Werkstatt und schaut stolz in die Kemera.


Bewusstseinsbildung

Woran scheitert die Inklusion am Arbeitsmarkt? Im TV-Projekt „Zum Schwarzwälder Hirsch“ des Senders Vox beweist eine Crew um den Koch Tim Mälzer, was Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben leisten können, wenn die richtigen Bedingungen geschaffen werden. Ein unwiderstehlich authentischer Blick auf Menschen mit und ohne Behinderung!

Zum Schwarzwälder Hirsch

VOX

Zur Website

Tim Mälzer beugt sich über den Herd und rührt in ienr Pfane. Hinter ihm steht eine junge Frau mit Down-Syndrom.

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