Inklusions-Pegel September 2021
Neues zum Thema Inklusive Bildung, liebe Leute!
Heute erhalten Sie eine neue Ausgabe unseres Newsletters INKLUSIONS-PEGEL, dem Folgeprojekt unserer Kampagne zum Film DIE KINDER DER UTOPIE. Hier berichten wir jeden Monat, was in Deutschland rund um die Umsetzung von Artikel 24 — inklusive Bildung — der UN-Behindertenrechtskonvention passiert. Dabei versuchen wir einerseits, die Bundesländer und Kommunen als Akteure der Schulpolitik im Blick zu behalten, und andererseits, die Nachrichten nach bundesweiter Relevanz zu filtern.
Das gefällt Ihnen? Dann empfehlen Sie uns am besten direkt weiter.
Ihr mittendrin e.V.
Grundschule bildet reine Migrantinnen*klasse. Die Aufregung war groß zu Schulbeginn in Sachsen-Anhalt. Und beruhigenderweise war sie erfolgreich. Die Schule hat daraufhin die Erstklässlerinnen* noch einmal gut durchgemischt und sie neu in Klassen eingeteilt. Die Schulleiterin hat sich entschuldigt und beteuert, dass sie keinerlei rassistische Diskriminierung vornehmen wollte. Sie habe Gutes im Sinn gehabt. Sie wollte den Schülerinnen* anderer Muttersprache gemeinsam eine gute Deutsch-Förderung zukommen lassen und ihnen sozusagen zur Peer-Förderung den Klassenlehrer zuteilen, der selbst mit einer anderen Muttersprache aufgewachsen ist.
Die Geschichte mit der Migrantinnen*klasse ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Erst einmal zeigt sie, dass der Sortier-Trieb im Schulwesen ungebrochen fortwirkt. Wer es pädagogisch sinnvoll findet, bereits 10jährige Kinder entlang ihrer vermuteten späteren Potenziale in verschiedene Schulformen aufzuteilen, verfällt auch leicht auf den Gedanken, Kinder anderer Muttersprache könnten besser „unter Ihresgleichen“ die deutsche Sprache lernen als im täglichen Miteinander mit ihren deutsch-muttersprachlichen Klassenkameradinnen*. Der pädagogische Vorteil eines vielfältigen Miteinanders in der Lerngruppe hat es schwer in einem solchen schulischen Weltbild.
Das Beispiel zeigt aber auch, dass die Gesellschaft fortschrittlicher ist als ihr Schulsystem. Die Eltern haben protestiert, als sie merkten, dass ihre Kinder nach Nationalität sortiert werden sollten anstatt nach Wohnort und Freundschaften. Und die Zivilgesellschaft ist ihnen sofort zur Unterstützung beigesprungen. Kinder offen nach Nationalitäten oder Muttersprachen aufzuteilen und voneinander zu trennen, wird in unserer Gesellschaft nicht mehr akzeptiert.
Gleichzeitig führt die Geschichte uns aber auch vor Augen, dass die Gesellschaft in ihrem Widerstand gegen Diskriminierung Unterschiede macht. Sie findet es skandalös, Kinder nach Muttersprache zu sortieren. Aber sie findet es – immer noch – völlig normal, Kinder danach zu sortieren, ob sie eine Behinderung haben oder nicht. Sie vertraut der Begründung, dass Kinder mit Behinderung zu ihrem Vorteil getrennt unterrichtet würden, um ihnen Schutz und bessere Förderung zu geben. Im Falle der Kinder von Sachsen-Anhalt hat sie dieselbe Begründung vehement zurückgewiesen. Logisch ist das nicht.
Die Themen im September
Töpfchen-Pädagogik I
Eine Nachricht zum Augenreiben: Eine Grundschule in Sachsen-Anhalt hat ihre Erstklässlerinnen* sortiert und eine Extra-Klasse für Schülerinnen* mit anderer Muttersprache eingerichtet. Erst der Protest von Eltern stoppte das Vorhaben.
Kinder nach Muttersprache sortiert – Schulamt entschuldigt sich
Spiegel
Töpfchen-Pädagogik II
Auch dies eine Nachricht zum Staunen: In Nürnberg wird eine ganze Sonder-Förderschule nur für Kinder mit Autismus eröffnet. Im Gegensatz zum Sortieren von Kindern anderer Muttersprache erregt das Sortieren von Kindern anhand ihrer Behinderung nicht für Protest. Hier geht es schließlich um besser Förderung. Aber halt: Was war noch einmal die Begründung in Sachsen-Anhalt?
Neue Schule für Kinder mit Autismus in Nürnberg eröffnet
Sonntagsblatt
Zwang
Ein Jugendamt in Rheinland-Pfalz betreibt die Entziehung des elterlichen Sorgerechts, weil die Mutter sich weigert, ihre Tochter auf eine Förderschule zu schicken. Der Fall liegt inzwischen nicht nur dem Bundesverfassungsgericht vor, sondern auch dem UN-Fachausschuss in Genf und dem UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung. Nun muss die Bundesregierung sich rechtfertigen.
Deutschland weist Verstöße gegen das Recht auf inklusive Bildung zurück
bildungsklick
Analyse I
Eine Studie aus dem Wissenschaftszentrum Berlin vergleicht gesetzliche Regelungen und Inklusionszahlen der Bundesländer mit den Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention. Sie weist damit nach, dass die meisten Bundesländer im Bereich Schule deutlich gegen die Konvention verstoßen.
Die Umsetzung schulischer Inklusion nach der UN-Behindertenrechtskonvention in den deutschen Bundesländern
nomos-elibrary
Analyse II
Ein Landtagsabgeordneter der AfD in Nordrhein-Westfalen mag immer noch nicht einsehen, dass die UN-Behindertenrechtskonvention deutliche Änderungen im Schulwesen und einen Abbau von Förderschulen verlangt. Dies wollte er nun vom Parlamentarischen Beratungs- und Gutachterdienst des Landtags bestätigt haben. Das Ergebnis wird ihn nicht zufrieden stellen.
Inklusion von Kindern mit Behinderungen im
Schulsystem
Landtag NRW
Bundestagswahl I
Die Bundestagswahl ist vorbei, das Kreuzchen nicht mehr rückholbar. Dennoch lohnt sich immer ein Rückblick, was die Parteien in ihren Wahlprogrammen für Inklusion und Menschen mit Behinderung versprochen haben.
Bundestagswahl entscheidet über Zukunft von Inklusion
kobinet-nachrichten
Bundestagswahl II
Inzwischen wissen wir: Er hat´s geschafft. Hubert Hüppe ist wieder Mitglied des Deutschen Bundestags und verstärkt seine CDU-Fraktion mit einer klaren Stimme für die Inklusion. Das hat gefehlt und möge sich verbreiten.
Hubert Hüppe: Kämpfer für Inklusion will wieder in den Bundestag
kobinet-nachrichten
Bundestagswahl III
Ist die politische Bildung barrierefrei? Wie lässt sich verhindern, dass politisch interessierte Menschen auf die Behindertenpolitik reduziert werden, weil sie selbst eine Behinderung haben? Wie hilfreich sind Wahlprogramme, wenn man sie in leichte Sprache übersetzt?
Wie inklusiv ist die politische Bildung zur Bundestagswahl im Netz?
Bundeszentrale für politische Bildung
Europa
Was die inklusive Bildung betrifft, ist Europa ein Flickenteppich. Die Unterschiede zwischen den Ländern sind riesig, sowohl bei den Anstrengungen für Inklusion als auch in der Debatte. Der Fernsehsender arte hat Eindrücke gesammelt.
Vox Pop: Kinder mit Handicap: Eine Schule für alle?
arte
Österreich
Zäh und mühsam verläuft die Entwicklung der inklusiven Bildung auch in Österreich. Es ist eine Geschichte jahrzehntelangen hinhaltenden Widerstands.
Schulische Inklusion in Österreich: Ein bildungspolitisches Lehrstück über viele Jahre
Der Standard
Hindernisse I
Die ambulante sonderpädagogische Unterstützung sehbehinderter Schülerinnen* an Regelschulen gibt es schon seit Jahrzehnten. Ausgerechnet im Zuge der inklusiven Entwicklung wird sie ausgedünnt.
Mutter einer sehbehinderten Schülerin klagt: Paragrafen-Dschungel „nicht zu bewältigen“
merkur
Hindernisse II
Viele Kommunen entscheiden sich, an ihren Schulen Barrierefreiheit immer dann herzustellen, wenn sich Schülerinnen* mit Behinderung anmelden. Problem: Sie bauen oft so langsam, dass die Schulzeit der Betroffenen vorbei ist, wenn der Aufzug endlich steht.
IGS ist nicht barrierefrei: Darum braucht Schülerin im Rollstuhl noch viel Geduld
Hannoversche Allgemeine
Zum Artikel (Paywall)
Ressourcen I
Warum gibt es an deutschen Schulen keine Schulkrankenpflegerinnen*? Es würde alle Schülerinnen* helfen und viele Schwierigkeiten für Inklusion wegräumen.
Mediziner fordern Schulgesundheitsfachkräfte für jede Schule
NEWS4TEACHERS
Ressourcen II
Zugegeben: Bei dieser Forderung vertreten die Landräte auch handfeste finanzielle Interessen. Trotzdem stimmt das Konzept: Das System Schule muss fit gemacht werden für Inklusion, anstatt die Organisation notwendiger Unterstützung den Schülerinnen* zu überlassen.
Landräte fordern vom Land mehr Personal
Stuttgarter Zeitung
Schulen
Vor dreißig Jahren war Berlin so etwas wie die heimliche Hauptstadt des Gemeinsamen Lernens und viele Kinder und Jugendliche mit schweren Behinderungen ganz normale Schülerinnen* allgemeiner Schulen. Dosierte Kooperationen von Sonder- und Regelschulen galten als veraltet. Entwickelt Geschichte sich rückwärts?
„Wir nehmen jeden auf, egal welche Behinderung er hat“
Der Tagesspiegel
Kommunen I
In Dortmund hat eine allgemeine Schule die Aufgabe eines Diagnostikzentrums übernommen. Warum sollte dies auch immer noch die Aufgabe der Förderschulen sein.
5. Diagnosezentrum in Dortmund
Lokalkompass
Kommunen II
Der nordrhein-westfälische Kreis Mettmann hält daran fest, die Inklusionsentwicklung der Schulen mit externer Unterstützung in Gang zu halten.
Schulische Inklusion: „Generationsaufgabe über mindestens 25 Jahre“
Supertipp
Kommunen III
Die Welle rollt, nicht nur in Nordrhein-Westfalen. Weil immer mehr Schülerinnen* ein Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung“ bescheinigt wird, steigen auch die Anmeldezahlen an diesen Förderschulen. Die Kommunen reagieren mit dem Bau neuer oder größerer Förderschulen. Und niemand fragt sich, ob da alles mit rechten Dingen zugeht.
Bekommt Herten eine weitere Förderschule?
Dattelner Morgenpost
Ausbildung
Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat die Situation von Jugendlichen im Übergang Schule/Beruf untersucht und fordert Verbesserungen. Heute sei vor allem für Jugendliche mit Behinderung ein nahtloser Wechsel in eine betriebliche Ausbildung die Ausnahme.
Übergang zwischen Schule und Beruf neu denken: Für ein inklusives Ausbildungssystem aus menschenrechtlicher Perspektive
Der Paritätische
Erholung
Nach den Belastungen der Corona-Zeit will der Staat besonders belasteten Familien mit einem geförderten Kurzurlaub helfen. Das Angebot geht an Familien mit niedrigem Einkommen, aber auch an Familien mit einem Angehörigen mit Behinderung:
Arme Familien können staatlich geförderten Kurzurlaub buchen
Der Spiegel
Auszeichnung
Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) ehrt traditionell jedes Jahr Menschen, die sich um das Rheinland verdient gemacht haben, mit seinem „Rheinlandtaler“. Meistens sind das Kulturschaffende oder Heimatforscher. Jetzt hat der große Förderschul-Träger LVR seine Verdienstmedaille an einen eher unbequemen Akteur vergeben: den Elternverein mittendrin e.V..
LVR zeichnet mittendrin e.V. für sein inklusives Engagement mit dem Rheinlandtaler aus
life PR
Argumente
Weitgehend geräuschlos wird gerade der erste vorgeburtliche Bluttest auf Behinderungen zur Kassenleistung erhoben. In diesem Fall geht es um Trisomien. Weitere Tests auf andere Behinderungen werden absehbar folgen. Der Deutsche Bundestag reagiert phlegmatisch. Der Protest aus Teilen der Zivilgesellschaft wird ignoriert. Das Bündnis #NoNIPT hat über Monate Argumente zusammengestellt und Stimmen gesammelt, um die dringend notwendige gesellschaftliche und politische Debatte doch noch in Gang zu bringen. Das alles wurde jetzt in vielen Stunden ehrenamtlicher Arbeit in einer Broschüre zusammengefasst und den Abgeordneten des neuen Bundestags zugestellt.
Broschüre steht zum Download bereit: Selektive Pränataldiagnostik – Wollen wir das wirklich?
#NoNIPT
Gefällt Ihnen unser Newsletter?Dann bitte hier weiterempfehlen! |
Sie sind noch nicht angemeldet?Das geht ganz schnell hier! |