Inklusions-Pegel - Der Newsletter zu inklusiver Bildung in Deutschland

Inklusions-Pegel September 2022

Neues zum Thema Inklusive Bildung, liebe Leute!

Heute erhalten Sie eine neue Ausgabe unseres Newsletters INKLUSIONS-PEGEL, dem Folgeprojekt unserer Kampagne zum Film DIE KINDER DER UTOPIE. Hier berichten wir jeden Monat, was in Deutschland rund um die Umsetzung von Artikel 24 — inklusive Bildung — der UN-Behindertenrechtskonvention passiert. Dabei versuchen wir einerseits, die Bundesländer und Kommunen als Akteure der Schulpolitik im Blick zu behalten, und andererseits, die Nachrichten nach bundesweiter Relevanz zu filtern.

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Ihr mittendrin e.V.

Kommentar: Die Eule spricht

Darf man heutzutage noch neue zusätzliche Förderschulen bauen? Nein, sagt der UN-Fachausschuss in Genf, der die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention überwacht. Nein, sagt auch die Monitoringstelle des Deutschen Instituts für Menschenrechte, die die Entwicklung im Auftrag der Bundesregierung überwacht.

Aber die Anmeldezahlen steigen doch, sagen dagegen viele Verantwortliche in Schulpolitik und -verwaltung einiger Bundesländer und ihrer Kommunen. Und so beginnen einige Schulträger ungerührt, neue zusätzliche Förderschulen in ihre Schulentwicklungsplanungen einzustellen oder sogar schon Planungs- oder Baubeschlüsse zu treffen. Sie fühlen sich auf der richtigen Seite, denn in ihrer Logik zeigen steigende Anmeldezahlen einen steigenden Bedarf. Dem müsse man mit neuen Förderschulkapazitäten nachkommen, denn schließlich seien wir ein freies Land und es gelte ein Elternwahlrecht zwischen inklusiver Bildung und Förderbeschulung.

Aber bedeuten höhere Anmeldezahlen zwingend einen steigenden Wunsch nach schulischer Exklusion? Oder liegt hier eher ein Ausweichen vor, ein resigniertes „dann eben die Förderschule“, weil es beim eigentlichen Wunsch nach Aufwachsen der Kinder in der Mitte der Gesellschaft und inklusiver Bildung schlicht kein ausreichendes Angebot gibt? Keine Ermutigung? Keine Unterstützung für den inklusiven Weg? Kein Willkommen? Dann taugen die Anmeldezahlen gerade nicht als Indikator für eine freudige Nachfrage nach der Förderschule, sondern als logische technische Folge des Versagens beim Aufbau inklusiver Bildung.

Aber die Eltern haben bewusst an der Förderschule angemeldet, beteuern die Verantwortlichen. Da mag etwas dran sein: Auch die Eule hat noch keine Eltern getroffen, die die Anmeldung an der Förderschule im Schlaf unterschrieben hätten, oder in einem Zustand der Amnesie. Etwas bewusst zu unterschreiben, heißt eben nicht, dass man nicht andere Wünsche gehabt hätte, die nur leider enttäuscht wurden. Irgendwo muss das Kind schließlich zur Schule gehen.

Und so dreht sich die Schraube weiter: Weil kein Geld da ist für die vernünftige Ausstattung des Gemeinsamen Lernens, bleibt vielen Eltern nichts übrig als an der Förderschule anzumelden, was den Verantwortlichen als Argument dient, viel knappes Geld in den Bau neuer zusätzlicher Förderschulen zu investieren. Was wiederum dazu führt, dass noch weniger Geld für die inklusive Bildung da ist und der sanfte oder nicht so sanfte Druck in Richtung Förderschule steigt. Wodurch die Anmeldezahlen an den Förderschulen weiter steigen und die Verantwortlichen abermals, um die Nachfrage zu decken, neue zusätzliche Förderschulen bauen. Da wird das Elternwahlrecht zum Vehikel, den Eltern die Wahlmöglichkeit vorzuenthalten. Das ist absurd, meinen Sie? Sicher. Aber noch absurder ist, dass die Geschichte der steigenden Beliebtheit der Förderschule von der Politik so unhinterfragt geschluckt wird.

Die Themen im September

Lehrerinnen*bildung

„Eine gute Schule arbeitet inklusiv“, konstatieren die Expertinnen* des Monitor Lehrerbildung. In einem „Policy-Brief“ kritisieren sie, dass Lehrkräfte in der Ausbildung immer noch nicht auf die inklusive Bildung vorbereitet werden. Sie fordern, dass Inklusion verpflichtender Studienbestandteil in allen Lehramtsstudiengängen werden muss.

Lehramtsstudierende müssen auf Inklusion vorbereitet werden

bildungsklick

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Eine Hand hält das Rad von einem Rollstuhl.


Baden-Württemberg 1

13 Jahre nach Rechtsgültigkeit der UN-Behindertenrechtskonvention sind viele Förderschulen in Deutschland voll und werden immer voller. In der Schulpolitik wird dies als Nachweis diskutiert, dass Eltern von Kindern mit Behinderung eben keine inklusive Bildung wollten. Doch wer so redet, kennt unsere Wirklichkeit nicht. In der ZEIT schildert beispielhaft eine Mutter aus Baden-Württemberg von ihrem Kampf, das Kind eben nicht auf eine Förderschule zu geben. „Das Schulsystem hat uns fertiggemacht, noch bevor unser Sohn Teil davon wurde“, fasst sie zusammen. Und wer diese Geschichte liest, wird sich vor allem fragen: Wie hält man diesen Kampf als Eltern aus? Unbedingte Leseempfehlung trotz Paywall!!!

Auf welche Schule komme ich?

ZEIT

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Auf einem Stuhl liegt eine Schultüte.


Baden-Württemberg 2

Seit Jahren scheitert Baden-Württemberg daran, die inklusive Bildung so voranzubringen, dass tatsächlich die Schülerinnen*zahlen an den Förderschulen sinken würden. Jetzt geht sogar die Zahl der Schülerinnen* mit Behinderung im Gemeinsamen Lernen zurück.

Inklusion an der Regelschule geht zurück

Stuttgarter Nachrichten

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Drei Jugendliche stehen an einem Tisch im Klassenzimmer und arbeiten und schauen auf Arbeitsblätter


Niedersachsen

Das Land steht kurz vor der Landtagswahl. Umfragen deuten auf einen möglichen Sieg der SPD hin. Und wie vor fünf Jahren in NRW versuchen CDU und die an der Fünf-Prozent-Hürde entlangschrammende FDP, sich auf Kosten der inklusiven Entwicklung zu profilieren. Sie fordern, das schon vor Jahren beschlossene Auslaufen der Förderschulen Lernen zu stoppen. Kultusminister Tonne hält im Landtag dagegen:

Kultusminister verteidigt Inklusion an Schulen

ZEIT

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Ein Mann im dunklen Anzug steht an einem Rednerpult und spricht.


Bayern

In Deutschland gilt Schulpflicht und damit im Umkehrschluss das Recht jedes Kindes auf Schulbildung. Für Isabella aus dem Landkreis Dachau ist das reine Theorie. Vor einem Jahr wurde sie eingeschult, aber bis heute schließt die Schule sie vom Unterricht aus – weil keine Pflegekraft zu finden ist und die Behörden das Problem schulterzuckend den Eltern überlassen.

Isabella würde so gerne in die Schule gehen

Süddeutsche Zeitung

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Ein Kind im Grundschulalter mit dunklen kurzen Haaren und Brillen sitzt auf einem Sofa, hält ein Buch in der Hand und schaut in die Kamera.

Die Eltern hatten für das vergangene Schuljahr ein leider zeitlich begrenztes Urteil des Verwaltungsgerichtshofs erstritten, das wegweisend sein dürfte: Es stellt das Recht des Kindes auf Schulbildung als vorrangig heraus. Dies ist eine gute Vorlage für alle Eltern in Bayern, deren Kinder vom Unterricht ausgeschlossen werden, wenn die Schulbegleitung fehlt oder ausfällt.

Erfolgreiche Beschwerde. Einstweilige Gestattung des Vaters der Antragstellerin, als pflegerische Betreuungsperson am Präsenzunterricht teilzunehmen bis geeignete Pflegekräfte für die Schule gefunden sind.

Bayern.Recht

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NRW 1

Wo soll das hinführen? Im größten Bundesland wird ein immer größerer Teil der Schülerinnen* per amtlichem Bescheid zu sonderpädagogisch Förderbedürftigen erklärt, inzwischen jede* 13. Schülerin*, rechnet News4Teachers vor. Und das ist nicht das ganze Bild: Nähme man als Basis für die Berechnung nicht die Gesamtzahl der Schülerinnen* an allgemeinen Schulen, sondern nur diejenigen in Grundschule und Sekundarstufe 1 (weil es in der Sek 2 ja kaum noch Schülerinnen* mit Förderbedarf gibt), sähen die Zahlen noch dramatischer aus.

Trotz – oder wegen? – Inklusion: Schon jeder 13. Schüler (in NRW) hat sonderpädagogischen Förderbedarf

news4teachers

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Eine jugendliche Person vor einem schwarzen Hintergrund schaut traurig in die Ferne.


NRW 2

Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) rechnet auf Basis eingeholter Prognosen mit weiter steigenden Schülerinnen*zahlen an seinen Förderschulen für körperliche und motorische Entwicklung. In der aktuellen Schulentwicklungsplanung skizziert die LVR-Verwaltung drei Wege, wie damit umgegangen werden könnte. Für die ersten beiden Wege (Unterstützung der Kommunen bei der inklusiven Bildung und Kooperation mit den Kommunen in Sachen Schulraum) sieht man keine weiteren Handlungsmöglichkeiten. Der dritte Weg skizziert als Lösung den Bau von womöglich vier neuen Förderschulen im halb NRW umfassenden Verbandsgebiet. Die Vertreter des Landesbehindertenrates beim LVR protestierten und forderten, den Beschluss über die neue Schulentwicklungsplanung auszusetzen. Ohne Erfolg. Hier die Pressemitteilung der Vertreterinnen* des Landesbehindertenrates:

LVR plant neue Förderschulen: Inklusion bleibt Lippenbekenntnis

mittendrin e.V.

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Bildschirmfoto von der Website des mittendrin e.V. der Headline LVR plant neue Förderschulen: Inklusion bleibt Lippenkenntnis.


NRW 3

… und hier die anschließende Gegen-Pressemitteilung des Landschaftsverbands Rheinland, die sich vor allem darauf zurückzieht, dass doch noch keine formellen Planungsbeschlüsse getroffen worden seien. Dazu mag ein Satz aus dem Drehbuch des Fernsehfilms „Der König von Köln“ passen: „Politik ist die Kunst, die Dinge so lange im Ungefähren zu belassen, bis sie nicht mehr zu ändern sind.“

LVR: „Pressemitteilung des Landesbehindertenrates absurd“

LVR

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Bildschirmfoto von der Website vom LVR mit der Überschrift: LVR: Pressemitteilung des Landesbehindertenrates absurd


NRW 4

Nach der Städteregion Aachen und dem Kreis Düren will jetzt auch der Kreis Heinsberg das Geld aus der Inklusionspauschale des Landes verwenden, um Unterstützungskräfte in Schulen zu finanzieren.

Verwaltung will inklusives Lernen stärken

rp-online

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Eine Person sitzt an einem Schreibtisch und arbeitet in einem Arbeitsheft.


Chronische Krankheiten

Immer wieder gibt es Fälle, in denen der Besuch einer allgemeinen Schule allein wegen einer Diabetes in Frage gestellt wird. Hier werden Lösungen diskutiert:

Kinder mit Diabetes: Wie Inklusion an Schulen gelebt werden kann

esanum

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Vier Hände halten eine Blutzuckermessgerät


Gehörlos und Schule

Ob und wie Inklusion für taube Schülerinnen* gelingen kann, ist umstritten. Hier beschäftigt sich der Bayerische Rundfunk mit Möglichkeiten:

Gehörlos und Schule - Wie Inklusion gelingen kann

BR Mediathek

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Bildschirmfoto von einem Film in der BR Mediathek. Mehrere Personen sitzen an einem Tisch mit Mikrofonen.


Erfahrung 1

Raúl Krauthausen gehörte zu den ersten Schülerinnen*, die in den 80er Jahren in Berlin Schulen des Gemeinsamen Lernens besucht haben. Für ihn wie für viele dieser Schülerinnen*generation bleibt es ein Rätsel, warum heute für unmöglich erklärt wird, was zu ihrer Schulzeit wunderbar gelang. Ein Rückblick und die Erkenntnisse daraus, lesbar für Abonnentinnen* des Magazins Stern.

Wie kann inklusive Bildung gelingen? Raul Krauthausen hat es erlebt

Stern

Zum Artikel (Paywall)

Eine Person mit Vollbart, Brille und Schiebermütze sitzt in einem Rollstuhl an einem Tisch und lächelt.


Erfahrung 2

Nyasha Derera ist Star-Läufer der Special Olympics. Der Sport war für ihn ein Weg, der Diskriminierung als Mensch mit kognitiver Einschränkung zu begegnen. Vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen kritisiert der Simbabwer, dass Deutschland mit der Inklusion in den Schulen nicht vorankommt:

Athletensprecher vor dem Berlin Marathon: „Inklusion ist keine Option, es ist eine Priorität“

Tagesspiegel

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Porträt eines schwarzen Manns mittleren Alters mit dunklem Anzug und roter Krawatte. in einem An


Übergang Schule/Beruf

Die beruflichen Möglichkeiten für Schülerinnen* mit Behinderung sind seit jeher beschränkt. Gerade für diejenigen mit schweren und kognitiven Einschränkungen droht sich im Übergang Schule/Beruf immer wieder eine Routine des bloßen „Unterbringens“ einzuschleichen. Das Qualifizierungsnetzwerk der Stadt Köln bietet ein Online-Fachforum zu beruflichen Perspektiven von jungen Menschen mit Behinderung an, in dem der Blick darauf gerichtet werden soll, wie individuelle Berufswünsche ernst genommen und unterstützt werden können:

Fachforum - Wie geht’s nach der Schule weiter?

bildung.koeln

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Auf einer roten Fläche steht: Fachforum. Wie geht's nach der Schule weiter. Berufliche Perspektiven für Jugendliche mit Förderbedarfen und/oder Behinderungen. Über der Fläche steht links das logo der Stadt Köln. Hinter der Fläche liegt ein Foto vom Rhein mit modernen Hochhäusern.


Bewegung

In Bayern hat sich am 12. Juli 2022 ein Bündnis mehrerer Bildungsverbände gegründet, das die Einführung der Gemeinschaftsschule fordert. Es kritisiert insbesondere, dass elf Jahre nach der Ratifizierung der UN-BRK die Inklusion in Bayern nicht vorankommt. Das Bündnis will sich aktiv im Vorfeld der Landtagswahl zu Wort melden und die Politik mit der Frage konfrontieren: "Wie hältst du's mit der Bildungsgerechtigkeit?". Hier die Einladung zur Auftaktveranstaltung:

Bündnis Gemeinschaftsschule Bayern

Lernwirkstatt Inklusion

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Vier illustrierte Personen in Grün, Gelb, Blau und Rot stehen nebeneinander. Sie bestehen aus ineinander gesteckte Puzzleteilchen mit Köpfen. Hinter ihnen liegt ein Kreis aus ebensolchen ineinandergesteckte Puzzleteil-Figuren in Pink, Orange, Grün und Lila.


Bluttest auf Trisomien

Seit dem 1. Juli dieses Jahres ist der vorgeburtliche Bluttest auf Trisomien in der Schwangerenvorsorge angekommen. Thema beendet? Nein – denn sowohl Mitglieder des Bundestags als auch Vertreterinnen* der Zivilgesellschaft lassen nicht locker:

Der nicht-invasive Bluttest auf Trisomien als Kassenleistung: Kritik aus Politik und Zivilgesellschaft lässt nicht nach

#NoNIPT

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Dunkelblaue Schrift auf grauem Hintergrund: Pressemitteilung – 28.09.2022: Der nicht-invasive Bluttest auf Trisomien als Kassenleistung: Kritik aus Politik und Zivilgesellschaft lässt nicht nach. Jahrestagung des Netzwerks gegen Selektion durch Pränataldiagnostik & des Bündnisses #NoNIPT in Berlin-Wannsee Darüber steht das Logo des Netzwerks gegen Selektion durch Pränataldiagnostik. Unter dem Text steht: #NoNIPT, Bündnis gegen die Kassenfinanzierung des Bluttests auf Trisomien* – www.NoNIPT.de


Freiwild

Was passiert, wenn die Beschäftigte einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung sexuelle Übergriffe zur Anzeige bringt? Ihr wird wegen ihrer Behinderung die Aussagefähigkeit aberkannt – Verfahren eingestellt. Gegen diese Verwehrung von Rechtsschutz haben die Rechts­an­wäl­tin­nen* der Betroffenen sowie mehrere Unterstützerinnen* jetzt Verfassungsbeschwerde beim Landesverfassungsgerichtshof Berlin eingelegt:

Gewalt gegen Menschen mit Behinderung: Ein Recht auf Rechtsschutz

taz

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In einer Werkstatt sitzen Menschen an Tischen mit bunten Kunsttstoffboxen und arbeiten.


 

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